ehr geehrter Herr Kompatscher, welche wirtschaftliche Bedeutung hat der Tourismus, und hier speziell Hotellerie und Gastronomie, für Ihre Heimat?
Eine hohe Bedeutung. Südtirol zählt zu den Top-Urlaubsdestinationen im Alpenraum. Die direkte Wertschöpfung der Hotellerie und Gastronomie beträgt circa 10 Prozent des Südtiroler Bruttoinlandsprodukts. Letzteres belief sich 2016 auf 22,2 Milliarden Euro. Allerdings greifen diese Zahlen viel zu kurz, weil der Tourismus sich in einem Punkt ganz erheblich von den anderen Sektoren unterscheidet: Er ist ein absoluter Querschnittsbereich. Somit schöpft indirekt die gesamte lokale Wirtschaftsgemeinschaft aus dem Tourismus Wert. Das gilt vor allem für Transportbetriebe, das Baugewerbe, den Handel, das Handwerk und die Landwirtschaft. Ganz besonders erschließt sich die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus aber im historischen Kontext. Als im Deutschland der Nachkriegszeit mit dem deutschen Wirtschaftswunder der Aufschwung schon massiv eingesetzt hat, war Südtirol noch ein armes Land. Der Tourismus hat dann nach und nach viel Wohlstand in unsere Dörfer und Täler gebracht. Als eine Schwäche Südtirols bezeichnen Sie im Resümee Ihrer Südtirol-Tour die bürokratische Belastung der Betriebe.
Was planen Sie auf diesem Gebiet, um aus der Schwäche eine Stärke zu machen?
Im Rahmen meiner Südtirol-Tour 2013 habe ich mich mit den wichtigsten Organisationen, Verbänden, Institutionen, Gewerkschaften und Foren getroffen, die die Südtiroler Gesellschaft repräsentieren. Eine der drei wesentlichen Erkenntnisse war, dass sich viele Südtirolerinnen und Südtiroler mehr Freiraum wünschen. In dieser Amtszeit hat die Landesregierung Rahmenbedingungen geschaffen, innerhalb derer sich Bürger, Unternehmen und unser Land freier bewegen können. Unter anderem haben wir für Steuererleichterungen in Höhe von rund 320 Millionen Euro jährlich gesorgt. Gleitzeitig haben wir im Beitragswesen Bürokratie abgebaut. Die Finanzierung der touristischen Organisationen, die sich um Marketing und Produktentwicklung kümmern, wurde auf eine neue solide Basis gestellt, ohne dabei eine neue zusätzliche Abgabe von Seiten der Beherbergungsbetriebe einzuführen. Mein Ansatz war, die Eigeninitiative zu stärken und im Gegenzug mehr Verantwortung zu übertragen. Somit ist einiges gut gelungen. Es ist aber kein Geheimnis, dass ich in Sachen Bürokratieabbau gerne schon weiter wäre.
Wie sehen Sie den Fachkräftebedarf in Hotellerie und Gastronomie in Südtirol und wie gehen Sie mit diesem Thema um?
In Südtirol verzeichneten wir 2017 im Jahresschnitt eine Arbeitslosigkeit von 3,1 Prozent mit sinkender Tendenz. Somit herrscht Vollbeschäftigung. Gleichzeitig sind 78,4 Prozent aller 20 bis 64-Jährigen in Arbeit, entweder als Selbständige oder abhängig Beschäftigte. Das ist ein sehr hoher Wert. Während in anderen Teilen Europas jeder zweite oder dritte Jugendliche ohne Arbeit zu Hause sitzt, ringen die Betriebe in Südtirol um jede junge Arbeitskraft. Die Aufgabe der Landesregierung ist es, die Betriebe dabei bestmöglich zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sind Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf notwendig. Insbesondere gilt es aber bei der Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen und der Berufsorientierung anzusetzen. Daran arbeiten wir. Gleichzeitig müssen sich die Betriebe über neue Arbeitszeitmodelle Gedanken machen. Das tun sie zum Teil schon mit Erfolg. Ein Thema ist sicher auch die Entlohnung. Große Hotelresorts wecken in manchen Regionen mit zunehmender Dimension die Begierde von Investoren.
Wie sehen Sie die Entwicklung in Südtirol?
Die volkswirtschaftliche Wirkung des Tourismus ist in Südtirol deshalb ganz besonders stark, weil die Nachfrage nicht von einigen wenigen Hotelkonzernen befriedigt wird, sondern von tausenden Klein- bzw. Familienunternehmen. Sie sind mit unserem Land eng verbunden und spüren deshalb eine ganz besondere gesellschaftliche Verantwortung. Das war in Südtirol immer schon so. Damit das so bleibt, haben wir im kürzlich verabschiedeten neuen Gesetz für Raum- und Landschaft darauf geachtet, den Bauspekulationen und dem Ausverkauf der Heimat entgegenzuwirken. Sie kennen aufgrund Ihrer Biographie alle Seiten des touristischen Geschäfts: Sie waren Präsident der Seiser Alm Umlaufbahn AG. Sie waren Bürgermeister der Tourismusgemeinde Völs am Schlern und sind nun als Landeshauptmann für ganz Südtirol, eine der bekanntesten Destinationen weltweit, zuständig.
In welcher Position hatten Sie das Gefühl, am meisten für den Tourismus bewegen zu können?
In allen meinen bisherigen Funktionen habe ich mich auf unterschiedliche Art und Weise für den Tourismus einbringen können. Am meisten gilt das sicher für meine jetzige Funktion als Landeshauptmann und Wirtschaftslandesrat.
Wie setzt sich Ihre Landesregierung konkret ein, um den Tourismus zu stärken?
Eine sichere Finanzierung für alle Organisationen, die für das touristische Marketing und für die Produktentwicklung zuständig sind, war mir schon als Präsident des Südtiroler Gemeindenverbandes ein Anliegen. Das System, das seinerzeit dann unter der Vorgängerregierung eingeführt wurde, konnte ich nun in gutem Einvernehmen mit den Leistungsträgern und touristischen Partnern optimieren. Wir haben die Finanzierung der Tourismusvereine und des Landestourismusmarketings so aufgestellt, dass sich weder das Land noch die Gemeinden oder die Leistungsträger ihrer Verpflichtung entziehen können. Gleichzeitig haben wir die Struktur der touristischen Organisationen gestrafft und im Zuge dessen die Tourismusverbände abgeschafft. Damit gehen weniger Finanzmittel in die Strukturen und es bleibt mehr Geld für das Marketing und für die Produktentwicklung. Wichtig sind mir auch die Weiterentwicklung und der Ausbau von Freizeitinfrastrukturen und des öffentlichen Nahverkehrs. Beides kommt Einheimischen wie Touristen gleichermaßen zu Gute. Dasselbe gilt für den Erhalt eines lebendigen ländlichen Raums.
Wie gut funktioniert in Südtirol das Miteinander zwischen touristischen Leistungsträgern und „der Politik“?
Eine zweite wichtige Erkenntnis aus der bereits angesprochenen Südtirol-Tour war, dass sich die Südtirolerinnen und Südtiroler mehr Partizipation wünschen. Ich habe es mir deshalb bei allen Vorhaben zum Grundsatz gemacht, sachlich zu informieren, den Betroffenen Mitsprache zu ermöglichen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Auch wenn letztendlich die Politik entscheidet und die Verantwortung tragen muss, haben gerade die Wirtschaftsverbände diesen neuen politischen Stil dankbar angenommen. Es gab damit sehr wenig Reibungsfläche. Es war also tatsächlich ein Miteinander und kein Neben- oder Gegeneinander.
Und wo sehen Sie hier noch Verbesserungspotential?
Es geht darum, diese Form der Zusammenarbeit auch in Zukunft fortzusetzen und sie zum Standard für die gesamte Landesverwaltung zu machen.
Was wäre Ihr Traum, wo Südtirol touristisch einmal stehen sollte?
Ich bin Realpolitiker. Durchaus realistisch ist, dass im Tourismus der bewusste Umgang mit den Ressourcen zu einem entscheidenden Erfolgskriterium wird. Das gilt aber auch für andere Bereiche. Der Erhalt und die Entwicklung der Vorzüge Südtirols sind nur dann langfristig möglich, wenn der Nachhaltigkeitsbegriff in all seinen Dimensionen einen Niederschlag in den verschiedenen Sektoren findet.
Zur Person
Arno Kompatscher ist verheiratet und Vater von sieben Kindern. Er ist Mitglied der Südtiroler Volkspartei (SVP) und seit 2014 Landeshauptmann von Südtirol. Darüber hinaus ist er Präsident der Region Trentino-Südtirol und Wirtschaftslandesrat.