err Güngörmüş wie erleben Sie diese Zeit des absoluten Ausnahmezustands?
Güngörmüş: Diese Zeit ist natürlich eine Katastrophe für die Gastronomie, sie hat die Branche sehr hart getroffen. Wir müssen jetzt kucken, dass wir so schnell wie möglich wieder aus der Krise herauskommen. Ich persönlich glaube nicht, dass alle Betriebe überleben werden. Es war ein Überangebot da und jetzt wird sich nach der Krise herausstellen, ob einer seinen Job gut gemacht hat oder nicht. Wer jetzt nicht überlebt, hat es einfach nicht gut gemacht.
Hätten Sie sich jemals vorstellen können, das sowas jemals eintreten würde?
Ederer: Wir feiern gerade die 75-jährige Befreiung von den Nazis. Seitdem ging es praktisch nur bergauf. Dass das nicht immer so weiter gehen kann, habe ich mir schon gedacht.
Ziehen Sie Konsequenzen aus der Krise und wenn ja, welche?
Güngörmüş: In so einer Zeit beschäftigt man sich auch mit sich selbst und mit seiner Vergangenheit und fragt sich, wo willst du hin?
Herr Güngörmüş, Sie haben im Fernsehformat „Kitchen Impossible“ besonders wertschätzend über Herrn Ederer gesprochen, was verbindet Sie?
Güngörmüş: Nach meiner Lehre habe ich bei Karl angefangen zu arbeiten. Es war von Anfang an ein Riesenrespekt da und Ehrfurcht. Karl Ederer war – und ist es jetzt immer noch – jung und dynamisch. Ich konnte viel von ihm lernen. Das ist die berufliche Seite. Aber es ist ja nicht nur das Arbeiten, da ist auch das Menschliche, das habe ich immer an Karl geschätzt. Wenn er etwas gesagt hat, hat er es auch gemacht. Wenn er Dich geschätzt hat, hat er Dich weitergebracht. Ich werde ihm immer dankbar sein. Er hat mich gefordert, gefördert und unterstützt. Den Weg selbst musst du gehen, aber es gibt Menschen in deinem Leben, die dir manche Türen öffnen. Ob du dann durchgehst, das musst du selbst entscheiden.
Herr Ederer, erinnern Sie sich noch an den ersten Kontakt beziehungsweise die erste Begegnung mit Herrn Güngörmüs?
Ederer: An das Telefonat kann ich mich schon noch erinnern. Es gab ja immer wieder einen Wechsel. Wir hatten damals etwa vier bis fünf Köche und wir waren immer gut ausgelastet. Wenn einer gefehlt hat, wurde es knapp. Da war man froh, wenn man wieder einen hatte. Ziemlich am Anfang, als der Ali dann da war, hat dann irgendwann am Abend mein französischer Partner zu mir gesagt „Le nouveau est le vite“ – der Neue ist schnell. Dann habe ich gesagt, ja, der bewegt sich gut und ist interessiert und wir haben auch darüber gesprochen, dass er im gleichen Haus gewohnt hat wie der ehemalige Oberkellner vom Aubergine, mit dem ich zweieinhalb Jahre zusammengearbeitet habe. Das Aubergine war das Witzigmann-Restaurant und insofern schließen sich da die Kreise. Mich kontaktieren noch heute ab und zu Köche von früher, da brauche ich echt einen halben Tag bis ich mich überhaupt daran erinnern kann. Bei solchen, die einem ans Herz gewachsen sind, fallen einem gleich mehrere Situationen ein. So einfach ist das.
Herr Güngörmüş, Sie haben auch Stationen in mehreren namhaften Restaurants gemacht, gingen 2005 nach Hamburg und haben dort ihr erstes Restaurant eröffnet. Was hat das für Sie bedeutet?
Güngörmüş: Ich wollte mich schon immer selbstständig machen, das heißt, mit 14 ging ich in die Lehre, mit 25 wollte ich Küchenchef sein und mich eigentlich mit 30 selbstständig machen. Das ist alles ein bisschen früher gekommen, aber auch hier wieder dank Karl Ederer – 2001 war das – da hat er mich angerufen, ob ich bei ihm die Küchenchefstelle übernehmen will. Ich bin auch ins Lenbach gegangen, da habe ich gelernt, eine große Mannschaft zu führen, mit 24 Köchen und einem großen Umsatz von fast 10 Millionen Euro im Jahr. Ich komme zwar aus der ganz einfachen, aus der bayerischen Gastronomie, dennoch war ich in Sternerestaurants, in großen Restaurants. Irgendwann sagte ich mir: „Jetzt könntest du dich eigentlich selbstständig machen.“ Zwar war ich vom Kopf her noch nicht so weit, aber mein damaliger Chef im Lenbach hat mich nicht ausreichend geschätzt. An einem bestimmten Punkt habe ich mich gefragt: „Warum arbeitest du eigentlich so viel für Menschen, die es nicht schätzen?“ Da hat einen Prozess in mir ausgelöst und ich sagte mir: „Ich will nur noch für mich arbeiten, nicht mehr für andere.“ Ich habe immer viel gearbeitet, aber ich wollte dafür auch Wertschätzung. Man muss sich ja nicht bedanken, aber einfach anerkennen, was getan wird. Das hat mir gefehlt und dann kam das Angebot aus Hamburg. Das habe ich dann wahrgenommen.
Sie sind als erster türkischstämmige Koch mit einem Stern ausgezeichnet worden. Macht es sie stolz, der erste gewesen zu sein?
Güngörmüş: Ich lege da überhaupt keinen Wert darauf. Ich habe mit der Türkei wenig zu tun, höchstens emotional. Ich bin sehr gerne in der Türkei, auch im Urlaub. Ich finde es sehr schade, dass dort viele auf das Kochen beziehungsweise kulturell auf den Beruf des Kochs wenig Wert legen, obwohl sie in der Familie sehr gerne essen und auch gerne gekocht wird. Koch ist ein toller und kreativer Beruf, man kommt weiter, er ist krisensicher und mit einer soliden Ausbildung bekommt man überall auf der Welt einen Job. Es wird auch gesagt, dass man sehr wenig verdient. Das stimmt auch nicht. Die Restaurants, die Gastronomen haben dazugelernt. Du musst deine Leute gut bezahlen, damit sie bleiben, fleißig sind und hinter Dir stehen. Ich habe eine einfache Meinung: Der Gute wird immer weiterkommen und sein gutes Geld verdienen. Wenn nicht, dann ist er einfach nicht gut genug.
Herr Ederer, Sie haben in hoch dekorierten Küchen gearbeitet und wurden auch selbst ausgezeichnet. Sie haben 2019 das „Ederer“ wiedereröffnet und da kochen Sie jetzt, wie Sie selbst sagen, ohne Pipette und Pinzette. Geht der Trend eher weg von dieser Küche und auch von formalen Auszeichnungen?
Ederer: Nein, zuerst einmal, habe ich so etwas nie gemacht, da ich auch aus einer anderen Zeit komme. Mit 60 oder 65 ändert man auch seine Meinung. Man erinnert sich wieder an klassische Gerichte. Hätten wir Anfang der 1980er-Jahre eine Birne Helene gemacht, dann hätte der Chef gesagt: „Ihr Blödmänner, warum fällt euch nichts anderes ein?“ Heute ist das beispielsweise in Paris wieder etwas ganz Besonderes. Ich habe mir trotzdem vor einem Jahr zwei Pinzetten bei Aldi gekauft. An Tagen, wo die Hand ruhig ist, geht es dann (lacht).
Das Ederer gab es schon einmal, jetzt heißt es „Pageou“ und gehört Ali Güngörmüş. Wie erleichtert waren Sie, als Ali Güngörmüş zugesagt hat, das Restaurant zu übernehmen?
Ederer: Da war ich schon erleichtert, denn ich war in dieser Zeit am Ende meiner Kräfte. Hätte ich bei der Post gearbeitet, dann hätte ich mich wegen Burnout krankschreiben lassen.
Fiel es Ihnen schwer, loszulassen?
Ederer: Nein. Wenn ich einigermaßen fit bin, werde ich noch mit 75 ein kleines Lokal haben, weil mir das wahnsinnig viel Spaß macht.
Herr Güngörmüş, im ehemaligen „Ederer“ haben sie früher auch schon gekocht. Fiel Ihnen die Entscheidung schwer, als Sie das Angebot zur Übernahme bekommen haben?
Güngörmüş: Nein, die Beziehung zu Karl Ederer war immer sehr respektvoll. Er war mein Mentor. Er wusste, dass ich Interesse habe, auch, als ich nach Hamburg gegangen bin. Eines Tages war es soweit, dass er gesagt hat, dass er ans Aufhören denkt und daran, das Ederer abzugeben. Nichts ist unendlich, das war in Hamburg genauso, wo ich mein Restaurant zwischenzeitlich 13 Jahre geführt hatte. Dennoch war mein Entwicklungsprozess in Hamburg abgeschlossen – mich reizte die Sternegastronomie auch nicht mehr. Ich wollte etwas Neues machen, ich wollte raus, ich wollte meine kulinarische Freiheit haben. Hier kann ich machen, was ich will. Das kommt auch sehr gut an. Es war die richtige Entscheidung.
War der Leistungsdruck aufgrund der emotionalen Verbindung größer für Sie?
Güngörmüş: Der Druck macht man sich natürlich auch selbst. Aber auch der Druck von außen prallt nicht ab. Ich wollte schon, dass das Restaurant hier funktioniert. Ich wollte auch, dass Karl Ederer stolz ist, dass ich das Restaurant gut weiterführe und nicht nach sechs Monaten oder einem Jahr pleitegehe. Schließlich war das auch irgendwie sein Baby und ich wollte, dass ich es genauso gut bewirtschaften und genauso gut kochen kann, wie er es gemacht hat. Er hat es mir übergeben, er hätte es auch jemand anderen geben können, es gab genügend Interessenten.
Sind Sie dankbar für das, was Sie tagtäglich tun dürfen?
Ederer: Ja, klar. Wir haben einen wunderbaren Beruf. Wenn man schaut, jetzt nach der Corona-Krise, gibt es wieder ein paar Berufe, die auf der Kippe stehen werden. Dagegen werden die gastronomischen Werte erhalten bleiben. Wer unseren Beruf hat, der kann sich glücklich schätzen. Der wird sein Auskommen auch einigermaßen bestreiten können.
Was zeichnet für Sie einen wertschätzenden Umgang mit Mitarbeitern aus?
Ederer: Ich habe das erst mit der Zeit gelernt, denn ich komme noch aus einer sehr strengen Gastronomie. Auch im Ausland, da hieß es oft: „Wenn du den Job nicht machst, dann macht es ein anderer.“ So streng ich früher war, so bin ich heute fast zu weich. Das ist eben auch der Werdegang. Da hat man oft gar nicht so viele Chancen. Und, wenn man ein, zwei Lokale hat, hat man auch keine Zeit, um diesbezüglich zum Therapeuten zu gehen. (lacht)
Wie kann der Gast Wertschätzung zeigen?
Ederer: Es gibt viele Gäste, die große Wertschätzung zeigen. Das hat es immer gegeben. Ich habe Stammkunden seit 1983. Also seitdem ich selbstständig bin. Und die Wertschätzung merkt man auch jetzt in dieser Zeit. Uns rufen alte Stammgäste an und fragen, ob wir ihnen beispielsweise für zu Hause für sechs Personen etwas bringen können, da sie gerade nicht persönlich zu uns kommen können. Das sind sehr rührende Begegnungen für mich.
Werden wir vielleicht noch einmal in den Genuss einer Zusammenarbeit von Ihnen beiden kommen, vielleicht sogar in einem gemeinsames Restaurant?
Güngörmüş: In einem gemeinsamen Restaurant weiß ich nicht. Aber wir arbeiten in gewisser Weise immer irgendwie zusammen. Heutzutage werden aber auch Autos und Wohnungen geteilt, warum sollte man nicht ein Restaurant aufteilen? Warum kann nicht am Mittag der kochen und am Abend der? Wenn wir jetzt einen Unternehmensberater hätten, dann würde der uns dazu raten. Wir selbst sind vielleicht zu emotional, zu künstlerisch, zu orientiert auf die alten Werte. Das ist nicht schlecht, aber man muss auch für das Moderne offen sein.