rau Ministerin, welchen Stellen- wert hat die duale Ausbildung in unserer Gesellschaft?
Die duale Ausbildung hat zahlreiche Vorteile und ist ein Erfolgsgarant für die bayerische Wirtschaft. Auszubildende sind die Rohdiamanten unserer Betriebe. Menschen, die sich für eine duale Ausbildung entscheiden, lernen das Arbeitsumfeld direkt kennen, sammeln erste Erfahrungen, tragen vom ersten Tag an Verantwortung und sind für den Firmenerfolg des Unternehmens von großer Bedeutung. Ich selbst habe eine Ausbildung zur Bankkauffrau absolviert. Davon profitiere ich bis heute. Ohne eine duale Ausbildung und die Fachkräfte, die tagein und tagaus hervorragende Arbeit leisten, hätten wir nicht diesen Wohlstand im Freistaat. Deshalb ist die Antwort ganz einfach: Die duale Ausbildung hat ein riesen Stellenwert. Das können wir nicht oft genug betonen.
Wie kann es gelingen, dass eine praktische und eine akademische Ausbildung in den Augen der Öffentlichkeit als gleichwertig anerkannt werden?
Damit muss man schon in der Kinderstube anfangen. Wenn man bereits als Kind zu hören bekommt, dass man nur erfolgreich ist, wenn man studiert und eine akademische Laufbahn absolviert hat, wird man diesen Weg auch einschlagen. Das ist aber falsch und davon müssen wir uns befreien. Wir sind erfolgreich, wenn wir das finden, was uns Spaß macht und uns begeistert. Dessen müssen wir uns als Gesellschaft bewusst werden – und das müssen wir den jungen Menschen klar kommunizieren. Der Berufsorientierung und der Erforschung von eigenen Interessen und Stärken kommt eine besonders wichtige Rolle zu. Die berufliche Bildung ist extrem vielseitig und bietet spannende Tätigkeiten in den unterschiedlichsten Feldern.
Welche (Aufstieg)-Chancen bietet eine berufliche Ausbildung?
Viele meinen, mit der Gesellen- und der Meisterprüfung ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Dabei fällt aber völlig unter den Tisch, dass die duale Ausbildung nur der erste Schritt ist. Es gibt vielfältige Aufstiegschancen im Bereich der beruflichen Bildung, mit denen man sich weiter spezialisieren und auf seinen praktischen Fähigkeiten aufbauen kann. Und was die wenigsten wissen: Mit der Meisterprüfung kann man studieren. Auf dem Fundament einer beruflichen Ausbildung lassen sich die verschiedensten Lebensentwürfe verwirklichen.
Wo positioniert sich Bayern, um die duale Ausbildung zu stärken?
Kaum ein anderes Bundesland setzt sich so stark für die duale Ausbildung ein wie der Freistaat. Gerade weil die duale Ausbildung einen besonders hohen Stellenwert besitzt und den Wohlstand im Freistaat sichert, haben wir schon 2014 die „Allianz für starke Berufsbildung in Bayern“ gegründet. Hier sitzen wichtige Vertreter aus der beruflichen Bildung an einem Tisch und tauschen sich über die Herausforderungen und Chancen aus. Ziel war es, dass alle, die eine Ausbildung absolvieren möchten, auch einen Ausbildungsplatz bekommen. Und das haben wir geschafft. Derzeit kommen auf jede Bewerberin und jeden Bewerber rechnerisch 1,8 Ausbildungsstellen. Es gibt in Bayern über 65.000 offene gemeldete Berufsausbildungsstellen. Aus Sicht der Bewerberinnen und Bewerber ist jetzt der beste Zeitpunkt, ihren Traumberuf zu finden.
Wo könnte das Gastgewerbe und die Politik darüber hinaus gemeinsam ansetzen, um mehr Jugendliche für eine duale Ausbildung zu begeistern?
Nach zwei Pandemiejahren müssen wir bei der Berufsorientierung wieder richtig Gas geben. Wir haben mit unserer Plattform BOBY eine digitale Möglichkeit geschaffen, mit der sich junge Menschen über die duale Ausbildung online informieren können. Aber auch die Berufsorientierung in Präsenz, also zum Mitmachen und Ausprobieren, ist sehr wichtig. Leider war das in der Pandemie-Zeit kaum möglich. Jetzt sind Praktika und Orientierungsmessen aber wieder durchführbar und die Bayerische Staatsregierung veranstaltet mit der „Berufsbildung 2022“ vom 12. bis 15. Dezember 2022 in Nürnberg die größte Berufsorientierungsmesse im ganzen deutschsprachigen Raum. Hier bietet sich für Betriebe die beste Gelegenheit, um mit den Nachwuchskräften von morgen in den Austausch zu gehen und von einer dualen Ausbildung oder einem Praktikum in ihrem Betrieb zu begeistern. Praktika sind wunderbare Gelegenheiten, Einblicke in Berufe und Betriebe zu bekommen. Ausprobieren ist hierbei das A und O.
Was spricht Ihrer Meinung nach besonders für eine berufliche Ausbildung im Gastgewerbe
„Eine berufliche Ausbildung im Gastgewerbe ist so vielfältig wie die Kundinnen und Kunden selbst. Wer gerne mit den verschiedensten Charakteren arbeitet, ein gewisses Gastgeber-Gen in sich trägt, und auch dann cool bleibt, wenn es mal schnell gehen muss, ist dort genau richtig. Neben den verschiedensten sozialen Kompetenzen sind wirtschaftliche Kenntnisse und eine Hands-On-Mentalität gefragt. Ein derart breites Spektrum findet man nicht überall.
Wie können wir Flüchtende aus der Ukraine in den bayerischen Arbeitsmarkt integrieren?
Durch den furchtbaren Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine gibt es eine große Fluchtbewegung gen Westen – auch nach Deutschland und Bayern. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind oft gut qualifiziert. Wir möchten diesen Menschen Perspektiven geben. Hierzu zählt auch die Integration in den Arbeitsmarkt. Um eine Tätigkeit aufzunehmen, ist oft die Anerkennung der jeweiligen ausländischen Berufsqualifikation erforderlich. Damit sich Geflüchtete im Vorhinein umfassend zum Verfahren und den Anforderungen informieren können, fördern wir Beratungsstellen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Landshut, Ingol- stadt, Würzburg, Regensburg und Bamberg. Bei den Berufen im Gastgewerbe, zum Beispiel als Hotelfachmann beziehungsweise -frau oder auch als Koch oder Köchin, sind Anerkennungsverfahren nicht zwingend notwendig, da die Berufsbezeichnungen nicht geschützt sind. In diesen Berufen können ausländische Fachkräfte also auch arbeiten, wenn sie kein förmliches Anerkennungsverfahren durchlaufen haben. Oft macht ein Anerkennungsverfahren aber Sinn, damit potenzielle Arbeitgeber das Können der jeweiligen Fachkraft besser einschätzen können. Für Fachkräfte kann eine anerkannte Berufsqualifikation auch Vorteile bei Gehaltsverhandlungen bringen.
Welche Vorzüge hat gerade eine Tätigkeit im Gastgewerbe?
Immer wenn ich in unserem schönen Freistaat in ein Hotel oder ein Restaurant gehe, bin ich von den freundlichen und zuvorkommenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begeistert. „Dort zu arbeiten, wo andere Urlaub machen“ ist ja nicht nur ein schöner Spruch. Er trifft in Bayern absolut zu. Wenn man als Azubi oder als Fachkraft glückliche Menschen um sich herum sieht, ist das die schönste Bestätigung. Ich kann nur empfehlen, es selbst einmal auszuprobieren.
Wie kann es gelingen, das Gastgewerbe und seine Beschäftigten auf die Anforderungen der künftigen Arbeitswelt vorzubereiten? Wel- ´´che Rolle übernimmt hier die Staatsregierung?
Auch im Gastgewerbe ist die Transformation längst angekommen. Digitale Technologien wie die Online-Tischreservierung oder elektronische Türschilder im Hotel bieten neue Möglichkeiten. Veränderte Arbeitsabläufe und -prozesse erfordern neue Skills. Das ist eine große Chance. Denn wer seine Beschäftigten jetzt qualifiziert, macht sich mit Fachkräften fit die Zukunft und hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Wir unterstützen Weiterbildungsaktivitäten mit unserem Pakt für berufliche Weiterbildung 4.0 unter anderem durch die kostenlose Beratung der Weiterbildungsinitiatorinnen und -initiatoren und das Portal www.kommweiter.bayern.de, das Interessierte direkt zu passenden Förder-, Beratungs- und Weiterbildungsangeboten führt.
ZUR PERSON
Nach ihrem Abitur und einer Ausbildung zur Bankkauffrau studierte Ulrike Scharf Betriebswirtschafts- lehre in München und schloss dieses mit einem Diplom (FH) ab. Von 1992 bis 2014 war sie selbstständig im familieneigenen Unternehmen tätig. Seit 1995 ist Scharf Mitglied der CSU, in den Jahren 2006 bis 2008 sowie seit 2013 ist sie Mitglied des Bayerischen Landtags. Seit 2011 ist die Mutter eines erwachsenen Sohnes Mitglied im CSU-Parteivorstand. In die erste landespolitische Reihe trat sie erstmals als Bayerische Staatsministerin für Umwelt und Verbraucherschutz von 2014 bis 2018. Seit 23. Februar 2022 führt sie das Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales.