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tellen Sie sich vor, Sie sitzen – als Gast – in einem Café und fragen die Menschen am Nachbartisch, wofür sie morgens aufstehen, was sie antreibt, was ihnen Freude bereitet. Vermutlich werden Sie von vielen hören: Für die Familie, für die Kinder, für die Freunde, für die Hobbys. Aber wie viele werden wohl sagen: Für meinen Job?
In einer Zeit, in der Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche grassieren, nach mehr Life als Work, mehr Home als Office, mehr Auszeit statt Vollzeit, lieber Ausstieg als Aufstieg, da scheint es um die Lust auf Leistung nicht gut bestellt zu sein. Viele Menschen fühlen sich im Beruf gestresst, überfordert, ausgebrannt. Sie sehnen sich nach Sinn, Anerkennung, Erfüllung – aber finden sie diese noch in ihrer Arbeit?
Dabei ist Leistungslust eigentlich ein Grundbedürfnis von uns Menschen. Schon kleine Kinder zeigen einen natürlichen Drang, etwas zu bewirken, zu gestalten, Neues zu lernen. Sie sind stolz, wenn sie mit ihren eigenen Händen etwas erschaffen, sei es ein Bild, ein Turm aus Klötzchen oder ein selbst gepflückter Blumenstrauß als Geschenk für die begeisterten Eltern. Doch irgendwo auf dem Weg ins Erwachsenenleben geht diese Freude am Tun oft verloren. Stattdessen erleben viele ihre Arbeit als Belastung, als notwendiges Übel. Woran liegt das?
Ein Grund ist sicherlich die zunehmende Entfremdung von unserer Arbeit in einer automatisierten, digitalisierten Hoch-Effizienz-Welt. Wer den ganzen Tag am Computer sitzt und abstrakte Prozesse verwaltet, erlebt sich selbst kaum noch als wirksam und schöpferisch. Die direkte Verbindung zwischen Anstrengung und Ergebnis, zwischen der eigenen Leistung und einem sichtbaren Produkt geht verloren – und in Branchen außerhalb der Gastronomie sind die Kunden nicht selten ganz weit weg, abstrakt, eher störend als mit positiver Rückmeldung bereichernd. Hinzu kommt der ständige Vergleichsdruck durch soziale Medien und die Jagd nach immer neuen Statussymbolen. Wir messen unseren Wert an Dingen, die mit dem Kern unserer Arbeit oft wenig zu tun haben. Statt Freude an der Tätigkeit selbst suchen wir Anerkennung in Äußerlichkeiten, neue Benefits, materielle Annehmlichkeiten. Auch unser Bildungssystem trägt seinen Teil dazu bei. Zu oft geht es nur darum, möglichst effizient verwertbare Fähigkeiten anzutrainieren, Stichwort Employability. Junge Menschen lernen dabei, sich einem Arbeitsmarkt anzupassen, aber zu wenig darüber, was sie selbst wirklich wollen und was sie können, was sie einzigartig macht.
Wie also können wir diese Leistungslust neu entfachen? Der Schlüssel liegt darin, uns wieder auf das Wesentliche zu besinnen: Auf das Tun selbst, auf unsere individuellen Fähigkeiten und die Freude, die wir dabei empfinden. „Jede Arbeit und jede Aufgabe machen glücklich, bei der man sich uneingeschränkt auf´s Machen, auf´s Tun konzentrieren kann – das erzeugt Werkstolz.“ Das bedeutet, wir müssen Tätigkeiten finden, die uns fordern und fördern.
Bei denen wir unsere Stärken einbringen und unmittelbar sehen, dass wir etwas bewirken. Dieses Gefühl, mit den eigenen Fähigkeiten einen Unterschied zu machen – das ist es, was uns Lust auf Leistung macht.
Es geht also nicht darum, noch mehr Benefits einzufordern oder ständig den Job zu wechseln. Es geht darum, sich auf das zu konzentrieren, was man wirklich gut kann und gerne tut. Und das kann im Prinzip bei jeder Tätigkeit gelingen. Handwerker zum Beispiel berichten überdurchschnittlich häufig – vielmehr als der Durchschnitt aller Arbeitnehmer –, dass sie ihren Beruf als sinnvoll und erfüllend erleben. Warum? Weil bei ihnen am Ende des Tages ein Ergebnis steht. Ein repariertes Auto, ein renoviertes Bad, ein perfekt gestrichener Raum. Sie sehen ganz konkret, was sie mit ihrer Arbeit geschaffen haben. Dieses Erfolgs- und Kompetenzerlebnis, dieser „Werkstolz“, ist eine unerschöpfliche Quelle der Motivation. Und zwar unabhängig von Position und Gehalt. Entscheidend ist das Gefühl, etwas Wertvolles beizutragen.
Allerdings liegt es nicht allein am Einzelnen, seine Leistungslust wiederzuentdecken. Auch Führungskräfte und Unternehmen tragen eine große Verantwortung, die richtigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.
Das beginnt mit echter Wertschätzung für die individuellen Fähigkeiten und Leistungen der Mitarbeiter. Führungskräfte müssen genau hinschauen: Was treibt den Einzelnen an? Wo liegen seine Talente und Potenziale? Und wie können diese gefördert und optimal eingesetzt werden? Dazu braucht es einen echtes Interesse an den Menschen, einen vertrauensvollen Dialog auf Augenhöhe. Führung darf nicht als reine Kontrolle verstanden werden, sondern als Unterstützung, als „Kümmern“ im besten Sinne. Es geht darum, Mitarbeitern den Rücken freizuhalten und Freiräume für selbstbestimmtes Arbeiten zu schaffen.
Auch eine positive Fehlerkultur ist wichtig. Nur wenn Mitarbeiter keine Angst haben müssen, für Fehler abgestraft zu werden, trauen sie sich, Neues auszuprobieren und über sich hinauszuwachsen. Fehler sollten als Chancen zum Lernen, auch als Startpunkt von Innovation begriffen werden – und zwar am besten von den Fehlern der anderen, wie die Forschung zeigt.
Eine weitere wirksame Methode ist das „Job Crafting“, also die aktive Mitgestaltung des eigenen Aufgabenbereichs. Wenn Mitarbeiter die Möglichkeit haben, ihre Arbeit an ihre Fähigkeiten und Interessen anzupassen und zu erweitern, entsteht in der Regel schnell eine neue Leistungsbereitschaft.
All das sind keine großen Zauberformeln, sondern oft kleine Stellschrauben mit großer Wirkung. Es sind die scheinbar banalen, alltäglichen Dinge, die den Unterschied machen. Wie wäre es zum Beispiel, einen Erfolg – und sei er noch so klein – nicht nur mit Boni zu belohnen, sondern mal mit einer überraschenden gemeinsamen Aktivität? Einem Ausflug, einem besonderen Essen, einem Event, bei dem das Team zusammenwächst und jeder spürt: Meine Arbeit wird gesehen und geschätzt. Oder nehmen wir das leidige Thema Meetings: Statt sich nur digital zuzuschalten, sollte man regelmäßig zusammenkommen, um nicht nur Aufgaben abzuarbeiten, sondern sich auch persönlich auszutauschen. Denn nichts schweißt ein Team so zusammen und beflügelt die Kreativität so sehr wie die direkte Begegnung.
Es sind solche „Momente der Selbstwirksamkeit“, die uns immer wieder neu motivieren. Das können wir nutzen, indem wir uns im Arbeitsalltag mehr Gelegenheiten dafür schaffen oder sie bewusst aufsuchen. Lust auf Leistung ist also kein abstraktes Konzept. Es ist eine zutiefst menschliche Erfahrung, die jeder von uns machen kann – jeden Tag aufs Neue. Indem wir das scheinbar Selbstverständliche wertschätzen, indem wir uns auf unsere Stärken besinnen und indem wir erkennen, dass oft im Kleinen die größte Erfüllung liegt. Wir brauchen Tätigkeiten, die uns fordern und fördern. Selbst gestalten, selbst erleben, selbst machen. So entsteht Freude am Machen und Stolz auf sein Tun – Arbeit mit Werkstolz, wieder Lust auf Leistung.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam die Ärmel hochkrempeln – aber mit einem Lächeln im Gesicht. Denn Leistung ist keine Last, wenn man liebt, was man macht. Das Geschenk, mit unseren einzigartigen Fähigkeiten etwas beizutragen, worauf wir stolz sein können. Wenn uns das gelingt, dann ist der Weg frei für eine neue, erfüllende Leistungskultur.
Prof. Dr. Ingo Hamm, Professor für Wirtschaftspsychologie (Hochschule Darmstadt)