err Rottler, wie wird man eigentlich Sprach-Profiler?
Die Basis kann ein Studium, beispielsweise der Germanistik, der Linguistik oder der Kommunikationswissenschaften sein. Noch wichtiger sind aber Talent für Sprache und Gespür für Grammatik. Die Sprach-Profiler an unserem Institut durchlaufen dann eine zweijährige Spezialausbildung – ein Training-on-the-Job, bei dem sie an echten Fällen mitarbeiten. Angefangen von einfachen Erpressungen bis hin zu Gutachten, die mehrere Hundert Seiten haben können.
Was ist der klassische Einsatzbereich für Sprach-Profiler?
Unser Tatort ist der Text. Immer, wenn ein Unternehmen anonym angegriffen, bedroht, verleumdet oder erpresst wird, kommen wir zum Einsatz. Wir analysieren alles was schriftlich ist. Briefe, E-Mails, Whatsapp- Nachrichten, Social-Media-Beiträge und zunehmend auch Online-Rezensionen. Dabei untersuchen wir die Texte auf sprachliche Muster, um den Täter zu überführen.
Konnten Sie den Fall mit der Fischplatte lösen?
Ja, sogar relativ rasch. Die Rezensionen wurden entweder anonym abgegeben oder unter irgendeinem Pseudonym. Zunächst ging unser Auftraggeber davon aus, dass ein unzufriedener Gast so seinen Frust auslebt. Das kommt schon mal vor, selbst in den besten Häusern. Als die Sache aber kein Ende nahm, lag der Verdacht nahe, dass der Wind aus einer anderen Richtung weht. Ein aktueller oder ehemaliger Mitarbeiter zum Beispiel. Am Ende stellte sich heraus, dass ein Querulant aus der Nachbarschaft der Täter war. Ihn störte der Gastro-Lieferverkehr, der ihn jeden Morgen weckte.
Und wie wurde er dann überführt?
Ein Mitarbeiter der Gewerbeaufsicht kannte diesen Herrn und seine dauernden Beschwerden seit Jahren. So kam der erste Verdacht auf. Wir haben dann die bösen Online-Rezensionen mit E-Mail-Texten von diesem Mann verglichen. Und siehe da, wir hatten unseren Täter.
Also wurde er anhand seiner Sprachmuster überführt?
Ein wesentlicher Aspekt des Sprach-Profilings ist, dass wir unsere gesprochene Sprache, genau wie auch geschriebene Texte, zum größten Teil unbewusst bilden. Wir folgen dabei Mustern, die tief in uns verankert sind. Diese Muster entstehen, weil unsere Sprache von Anfang an durch unser soziales und kulturelles Umfeld geprägt wird. Beispielsweise durch unsere Eltern, die Familie, Freunde, Schule, den Beruf und nicht zuletzt durch unsere ganz individuellen persönlichen Interessen. Wir haben sie so verinnerlicht, dass wir sie bewusst nicht mehr wahrnehmen. Diese Muster entschlüsseln wir.
Heißt das, dass es einen sprachlichen Fingerabdruck gibt?
Sprachmuster können im Idealfall nahezu so eindeutig und unverwechselbar wie ein gut lesbarer Fingerabdruck sein. Der Kriminalist muss bei der Spurensicherung genau wissen, wo das Suchen nach Fingerabdrücken Sinn macht. Während ein Laie nur auf der Tischplatte suchen würde, sucht ein Profi auch darunter. Genauso ist es bei der Textanalyse. Der sprachliche Fingerabdruck hat gegenüber den Papillarlinien der Haut sogar einen wesentlichen Vorteil: Er kann sehr viel mehr über den Täter aussagen als ein klassischer Fingerabdruck. Texte lassen zum Beispiel oft Rückschlüsse auf die Anzahl der Autoren, absichtliche Verstellungen, Muttersprache, regionale Herkunft, Altersgruppe, Geschlecht, Bildungsgrad, Sprachfertigkeit und unter günstigen Umständen sogar über die Ausbildung und den Beruf des Autors zu.
Wie ist der Fall denn vor Gericht ausgegangen?
Der Fall ist nie vor Gericht gelandet. Unserem Auftraggeber war es nicht wichtig, Recht zu bekommen, sondern er wollte Klarheit haben. Die Fake-Rezensionen waren ein Riesenthema in seinem Team, und am Ende hat jeder jeden verdächtigt. Das hat die Stimmung im Haus vergiftet. Als die Sache klar war, haben wir ihm empfohlen, auf jede Rezension smart zu reagieren. Auf die Bewertung mit der Fischplatte haben wir zum Beispiel mit einer Einladung zum Essen für zwei Personen reagiert. Es hat sich nie jemand gemeldet. Das Restaurant hatte zum Zeitpunkt der Rezension übrigens schon seit Monaten keine Fischplatte mehr auf der Karte.
ZUR PERSON
Patrick Rottler hat Kommunikationswissenschaften studiert und ist Experte für Datenanalyse. Als Sprachprofiler am Institut für Forensische Textanalyse ist er für den Bereich Cybercrime verantwortlich. Aber auch gewöhnliche Morddrohungen landen auf seinem sprachwissenschaftlichen Seziertisch. Das Institut für forensische Textanalyse ist Marktführer im Bereich kriminalistisches Sprachprofiling und unterstützt Unternehmen, die anonym angegriffen, bedroht oder erpresst werden (www.forensische-textanalyse.de).