err Nakamura, Sie sind in ihrer Laufbahn bereits mit zahlreichen Preisen und Ehrungen versehen worden. Nun sind Sie mit 36 Jahren Koch des Jahres geworden. Sind es diese Auszeichnungen, die Sie antreiben?
Definitiv nicht. Die Auszeichnungen sind natürlich eine Art Sahnehäubchen, die das Ganze ein wenig versüßen und natürlich auch für das komplette Team eine tolle Bestätigung sind. Es ist auch ein schöner Anlass, um gemeinsam mit dem Team ein bisschen zu feiern. Aber grundsätzlich habe ich persönlich einfach nur wahnsinnig viel Freude daran, zu kochen. Der Geruch, der Empfang der Gäste, das ganze Drumherum – all das macht mir einen großen Spaß. Das ist der Grundantrieb für das, was ich tue.
Zu welchem Zeitpunkt in Ihrem Leben wussten Sie, dass Sie gerne Koch werden wollen? Dieser Weg war ja schon in Ihrer Kindheit ein wenig vorgezeichnet?
Naja, ich habe auch schon als Kind ganz gerne gekocht und bin gerne in der Küche gestanden. Von handwerklichem Kochen war das aber natürlich noch weit entfernt. Zu dieser Zeit war der Unterschied zwischen Salz und Zucker noch interessanter als der Plan, größere Gerichte zu kreieren. Die Initialzündung für das berufliche Kochen war bei einem Praktikum bei Léa Linster in Luxemburg. Freunde meiner Eltern haben mir einen Praktikumsplatz in ihrem Sternerestaurant Frisange verschafft. Und dort hatte ich das erste Mal Berührung mit der professionellen gehobenen Gastronomie – das war vor etwa 25 Jahren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Vorstellung davon, was es bedeutet, in so einem Restaurant zu arbeiten.
Wenn ich jetzt zurückrechne – vor 25 Jahren? Da waren Sie 11 Jahre alt.
Ein bisschen älter – so mit 13 oder 14 war ich ich das erste Mal in den Schulferien dort und durfte ein wenig hinter die Kulissen schauen. In den vergangenen 20 bis 25 Jahren hat sich auch das Berufsbild des Kochs in der Gesellschaft grundlegend verändert. Mittlerweile werden ja auch Lifestyle-Aspekte oder die nötige Kreativität hervorgehoben, was nicht immer nur zuträglich für unsere Branche ist. Manchmal entsteht da auch ein falscher Eindruck. Kochen hat schließlich auch ganz schön viel mit Handwerk zu tun. Ab und an hört man junge Leute schon mal sagen: „Ich möchte Fernsehkoch werden“ – das hat mit der Realität natürlich nichts zu tun. Dennoch hat die veränderte Wahrnehmung dazu beigetragen, dass der Beruf grundsätzlich in der Gesellschaft an Bedeutung gewonnen hat.
Viele Ihrer Kollegen in der gehobenen Gastronomie haben sich selbstständig gemacht. Haben Sie auch Pläne in diese Richtung?
Dazu muss ich sagen, dass ich ja nicht nur Arbeitgeber sondern auch Weggefährten in der Familie Geisel habe, die mir wirklich alle Freiheiten einräumen, die man sich aus unternehmerischer Sicht nur vorstellen kann, ohne mich dabei einzuschränken. Und Fakt ist: Solange ich nicht das Gefühl habe, dass ich andere Entscheidungen treffen würde, als wenn ich selbstständig wäre, genieße ich die Situation sehr. Beispielsweise, dass wir eine Zentralverwaltung haben und dass ein riesiges Team als Unternehmen hinter mir steht und ich mich auf das konzentrieren kann, was ich am liebsten mache: Kochen. Daher habe ich keinen persönlichen Drang dazu, in die Selbstständigkeit zu gehen. Die Ziele und Vorstellungen der Familie Geisel und mir decken sich zu 100 Prozent. Von daher bin ich voll und ganz zufrieden.
Ob man die Zeitung aufschlägt oder online geht – man kennt Sie. Gibt es da nicht manchmal Momente, in denen Sie sich wünschen, nicht in der Öffentlichkeit und stattdessen in einer „anonymen“ Restaurant-Küche zu stehen?
Nun ja, das eine schließt das andere ja nicht aus. Ich finde, der ganze Trubel hält sich schon noch einigermaßen in Grenzen. Ich kann schon noch durch München laufen, ohne an jeder Ecke stehenbleiben zu müssen. Es eröffnet uns als Restaurant und mir als Küchenchef natürlich Möglichkeiten, die man so vielleicht nicht hätte – eben beispielsweise die Vollauslastung unseres Restaurants. Darum ist das vollkommen ok. Ich habe da nicht den Wunsch, ab und zu „inkognito“ einfach nur zu kochen – weil ein riesiges Team hinter mir steht, das mir genau diese Situation ermöglicht.
Man liest immer wieder von Sterneköchen, die ihre Sterne zurückgeben. Ist es nicht ein wahnsinniger Druck, der da dahintersteht? Wie gehen Sie damit um – Sie haben ja auch eine Familie mit Kindern?
Klar. Meine Frau übernimmt hier wahnsinnig viel, zudem ist sie selbst berufstätig. Zum einen ist sie Berufsschullehrerin – sie unterrichtet im Fach Fachpraxis Kochen, ist selbst Köchin und hat im vergangenen Jahr auch die Meisterschule absolviert – zum anderen ist sie auch bei uns im Unternehmen tätig. Und trotzdem übernimmt sie den größten Part, was die Familie betrifft. Ansonsten ist es aber aus meiner Sicht schon wichtig, sich diese Sonntage und Montage, diese zwei, drei Tage, die man dann hat, auch einigermaßen freizuhalten, dass dann auch Familienleben stattfinden kann. Das ist die private Seite. Und zu dem Druck der Sterne: Man muss sich immer vor Augen führen, dass man diese Auszeichnungen oder Bewertungen für etwas bekommt, was man geleistet hat – ob das nun das vergangene Jahr ist oder die vergangenen Jahre. Von daher ist der innerliche Druck meistens größer als der externe. Man muss das Gefühl haben, dass man mit einem hervorragenden Team zusammenarbeitet und dass jeder auch mal einen Durchhänger haben kann. Dafür sind wir zu neunt da, um uns gegenseitig auch mal aufzufangen, wenn der ein oder andere gerade nicht den „Tag seines Lebens“ hat. Es muss einfach Spaß machen – und solange das so ist, glaube ich, dass man mit dem Druck auch positiv umgehen kann.
Haben Sie denn einen Tipp für junge Kollegen, was sie einmal versuchen sollten oder wovon sie bloß die Finger lassen sollen?
Da möchte ich gerne Bezug auf Ihre erste Frage nehmen, ob Auszeichnungen die Motivation für das sind, was man tut. Ich denke, jeder muss für sich erst einmal herausfinden, ob das wirklich der richtige Beruf für einen ist und ob man Spaß daran hat. Unabhängig davon, ob man die ein oder andere Auszeichnung oder einen Preis gewinnt oder bei Meisterschaften mitmacht, was ich super finde. Doch wenn man nicht gewinnt, muss man die Liebe zum Beruf beibehalten (oder auch erst recht) und daran arbeiten. Ich glaube, das ist einer der wichtigsten Punkte. Und das andere, das sich immer wahnsinnig schwer anhört und bei dem ich auch selbst nicht beurteilen kann, wie es bei mir funktioniert hat, ist der eigene Stil, der erkennbar sein muss. Dafür muss man ein Feeling entwickeln. Heutzutage ist das Wissen– nicht zuletzt dank Social Media und Co. – über Produkte, Zubereitungen und Anrichteweisen so frei verfügbar, dass es letztendlich darum geht, dass man sich selber auch eine Art von Filter aneignen muss, durch den man nicht jede Idee aufschnappt, die man gerade in einem Kochbuch oder bei Facebook gelesen oder bei Instagram gesehen hat. Ich persönlich blättere wahnsinnig gerne in Kochbüchern – das erspart mir persönlich den Weg über den Großmarkt in der Früh – weil man dort auch viele Produkte sieht, die einen auf Ideen bringen. Insofern: Erst einmal den Beruf kennen, schätzen und lieben lernen und dann versuchen, sein eigenes Ding zu machen.
Sollte man dafür auch einmal ins Ausland gehen?
Auslandserfahrungen bringen einen auf jeden Fall weiter. Ich habe selbst auch gemerkt, dass mich meine Zeit in Holland sehr geprägt hat – alleine schon deshalb, weil man natürlich auch eine andere Kultur kennenlernt, seinen Horizont erweitern kann und auch Küchenstrukturen sieht, die sich von denen in Deutschland unterscheiden. Es ist nichts für jedermann – wenn man beispielsweise nicht so affin für Fremdsprachen ist, oder sich schwertut, fern der Heimat zu sein, dann ist es vielleicht nicht unbedingt das Richtige – das ist wahrscheinlich auch sehr abhängig vom Typ.
Haben Sie persönlich Wünsche an die nächste Generation der Köche?
Ich würde jungen Köchen die grundsätzliche Bereitschaft wünschen, den „steinigen Weg“ zu gehen, um später Vorteile für sich selbst daraus ziehen zu können, und die Leidenschaft für den Beruf von Anfang an mitzubringen. Ich würde ihnen empfehlen, in den ersten jungen Jahren ihrer Karriere nicht 100-prozentig auf die vielzitierte Work-Life-Balance“ zu setzen. Ich selbst habe mich zwischen 20 und 30 fast zu 100 Prozent dem Beruf gewidmet. Es klingt zwar ein wenig abgedroschen, aber „Von nichts kommt nichts“ – da ist schon eine ganze Menge dran.
Zur Person
Mit deutscher Mutter und japanischem Vater ist der Münchner Tohru Nakamura unter dem Einfluss beider Kulturen aufgewachsen, was sich auch in seiner Küche widerspiegelt. Disziplin kombiniert mit Innovationsgeist und Kreativität verhalfen ihm zu einem rasanten Aufstieg in den Sternehimmel. Renommierte Adressen säumen Tohru Nakamuras Weg: Im Münchner Königshof erlernte er die Kochkunst, im Vendôme auf Schloss Bensberg hat er sie verfeinert und im niederländischen Oud Sluis perfektioniert. Für die persönliche Note und den unverkennbaren Charakter reiste er durch Japan und ließ sich von einigen der besten ostasiatischen Meisterköche inspirieren.