Lieber Herr Schiller, Sie leiten mit FTI einen der größten europäischen Reisekonzerne. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach Nachhaltigkeit im internationalen Tourismus und welche Rolle wird sie in Zukunft noch spielen?
Vor der Corona-Pandemie gab es Diskussionen rund um Flugscham und Overtourism, besonders bedingt durch die Low-Cost Carrier, zu Deutsch Billigflugairlines. Ich denke auch an Orte wie Barcelona, Venedig, Dubrovnik oder Palma de Mallorca, die durch die vielen Kreuzfahrtschiffe teils überlaufen waren. Durch die Pandemie wurden diese Themen ein bisschen zurückgedrängt, jetzt stehen sie wieder auf der Agenda – allerdings aus einem neuen Blickwinkel. Verreisen wollen die Menschen nach wie vor, aber Nachhaltigkeit wird ihnen dabei immer wichtiger. Das Thema ist sehr kundengetrieben, zugleich aber auch durch Regularien seitens der EU und Bundesregierung brandaktuell. Die Wachstumsrate nachhaltig zertifizierter Produkte ist höher als die der übrigen Produkte. Auch wenn es finanziell noch nicht für alle Zielgruppen attraktiv ist und noch nicht den Großteil des Tourismussektors von Anfragen zu nachhaltigen Angeboten betrifft, wird das Thema immer weiter ausgebaut werden – da führt kein Weg dran vorbei.
Kennen Sie gute Beispiele, wie zum Beispiel gewisse Destinationen, die den Nachhaltigkeitsgedanken bereits jetzt leben?
Griechenland beschäftigt sich sehr stark mit dem Thema. Auch die Türkei ist auf uns zugekommen und strebt Nachhaltigkeitskonzepte an. Ein gutes Beispiel sind auch unsere eigenen Hotels in Ägypten, wo wir unter anderem eigene kleine Gärten durch unsere Mitarbeiter betreiben. Alle diese Länder haben verstanden, dass es über kurz oder lang eine verstärkte Kundennachfrage nach nachhaltigen Angeboten geben wird. Und Nachhaltigkeit ist ja nicht nur Umwelt, sondern geht noch viel weiter, wie beispielweise Social Responsibility. Einige unserer großen Hotelpartner beschäftigen sich schon jetzt intensiv damit. Unsere eigenen Hotels sind inzwischen alle Travelife zertifiziert, so können wir einen gewissen Nachhaltigkeitsstandard gewährleisten. Wo es nur langsame Fortschritte gibt, ist das Thema Sustainable Fuel für Flugzeuge. Das sind Themen, die noch in der Pipeline sind, aber auch sie werden kommen.
Welche Fehler, die man schon weltweit festgestellt hat, sollte man in Zukunft vermeiden und nicht nochmal machen?
Insbesondere in den klassischen Urlaubsorten im Süden haben wir jede Menge Bausünden an vielen Küsten. Das sieht häufig alles andere als schön aus. Heute wird wesentlich nachhaltiger gebaut und viele Fehler von früher zum Glück nicht mehr begangen, denn ein Kunde will heute nicht mehr einen Wolkenkratzer an irgendeiner Küste stehen haben. Das ist einfach nicht mehr der allgemeine Geschmack.
Wenn wir den Fokus auf Deutschland richten: Inwieweit wird dem Thema Nachhaltigkeit im Tourismus schon die Aufmerksamkeit geschenkt, die ihm gebührt? Oder denken Sie, es gäbe noch weitere Ansätze, die man verfolgen könnte?
Es ist immer Luft nach oben und das gilt für uns alle. Wir insgesamt als Tourismus-Branche hinken anderen Branchen gegenüber noch ein Stück weit hinterher. Allerdings ist unsere Zusammenarbeit mit regionalen Lieferanten sehr gut, schon fast Standard, denn man hilft sich damit ja auch gegenseitig. Auch Kunden-seitig hat sich hier einiges verändert. So interessieren sich die Gäste heute tendenziell viel mehr für die Herkunft von Fleisch und Gemüse als noch vor einigen Jahren oder gar Jahrzehnten. Viele ge entwickeln sich nicht linear, sondern exponentiell. Und wer sich heute nicht mit diesen wichtigen Themen beschäftigt, wird den Pfad möglicherweise zu spät beschreiten und Einbußen hinnehmen müssen.
Lassen Sie uns den Blick auf Bayerns Gastgeber richten: Sehen Sie ungenutztes Potenzial, wo die bayerische Hotellerie oder Gastronomie den Nachhaltigkeitsgedanken stärker leben könnte?
Als erstes muss ich festhalten, dass Bayern das Konzept rund um Regionalität hervorragend versteht und nutzt. Das macht die Region als Reiseziel aus – das merken wir selbstverständlich auch bei uns als Reiseunternehmen. Gleichzeitig gibt es in meinen Augen noch Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung. Mithilfe digitalisierter Lösungen können Betriebe ja potenzielle Kunden viel leichter erreichen und das sollte dementsprechend stärker genutzt werden. Aber auch die Darstellung der gelebten Nachhaltigkeit fehlt noch, das geht manchmal einfach unter und das ist schade. Beim Thema Lebensmittelverbrauch und leider auch Lebensmittelverschwendung könnten wir in Deutschland definitiv besser werden. In Bayern setzt man oft noch auf große Portionen. Ob das immer noch so zeitgemäß ist? (lacht)
Sehen Sie eine Gefahr rund um das Schlagwort „Greenwashing“?
Greenwashing ist ein Riesenthema, und zwar aus der angesprochenen Digitalisierung heraus. Wer also glaubt, dass er sich mit ein paar Fake-Maßnahmen im Internet als nachhaltig präsentieren kann, ohne dass aber wirklich substanziell etwas dahintersteht, der wird relativ schnell Gegenwind erhalten. Die Menschen heutzutage nehmen sehr schnell wahr, wenn etwas nicht stimmt, und kommentieren und verbreiten das entsprechend. Daher sollte man sich bewusst sein, was man kommuniziert – und bei der Wahrheit bleiben.
Die Problematik dabei ist, dass momentan viele Akteure auf den Markt drängen. Was würden Sie raten, wenn man als Unternehmer einen Partner in Sachen Nachhaltigkeit sucht?
Im Tourismus-Sektor ergibt es Sinn, wenn ein Nachhaltigkeits-Label durch den GSTC – den Global Sustainable Tourism Council – anerkannt ist. Daher würde ich empfehlen, sich durch diesen Dschungel der Zertifizierung zu kämpfen, um zu sehen, welche wirklich sinnvoll und im Tourismus anerkannt sind.
Welche Themen werden den Tourismus in Zukunft noch begleiten?
Bei uns als Reiseveranstalter sind Langzeitaufenthalte etwas, das wir in Zukunft weiter fokussieren möchten. Wir werben bereits damit, dass Kunden einfach länger unterwegs sein sollen, um die Klimabilanz in Bezug auf An- und Abreise zu verbessern. Auch Themen wie Workcation werden wichtiger: Immer mehr Mitarbeiter von Unternehmen arbeiten auch gerne mal vom Homeoffice aus oder kombinieren den Familienurlaub mit Arbeit.
Wie wirken sich die Folgen des Krieges auf den Tourismus aus?
Im Tourismus sind es aktuell vor allem die inflationären Tendenzen, die durch den Krieg entstehen, denn mit einem relativ hohen Fluganteil und dem damit verbundenen Energiepreisen werden auch die Fixkosten nach oben getrieben. Insgesamt führt die aktuelle Krise zu einer grundsätzlichen Verunsicherung unserer Kunden, denn wenn sie sich unkomfortabel fühlen, buchen sie relativ kurzfristig. Hier ist unsere Flexibilität als Branche gefragt, da die Dinge weniger auf lange Sicht planbar sind. Was wir im Moment jedoch nicht feststellen können, ist, dass die Reiselust an sich nachgelassen hat: Im Gegenteil, all die schlechten Nachrichten bestärken eher den Wunsch nach positivem Ausgleich, sprich Reisen.“
Worauf legen Sie persönlich Wert bei der Auswahl eines Hotels? Sie sind schließlich allein von Berufswegen viel und weltweit unterwegs…
Um ehrlich zu sein, bin ich auf Dienstreisen beim Hotel nicht besonders wählerisch. Ich gehe nur sicher, dass ich ein Zimmer möglichst nahe am Hotelein- und -ausgang habe, da ich immer auf dem Sprung bin. Wenn ich privat reise, dann lege ich Wert auf Individualität – beispielsweise durch ein geschmackvolles, modernes oder zeitloses Interieur.
ZUR PERSON:
Der gelernte Reiseverkehrskaufmann Ralph Schiller begann seine Karriere als Büroleiter in einem Reisebüro und wechselte in die Rolle als Direktor Flight Department zur Saspo GmbH. 1990 wurde er zum Geschäftsführenden Gesellschafter bei der Reiseland GmbH & Co. KG. 2004 wechselte er in die Geschäftsführung der Otto Freizeit Touristik GmbH. Nach einer weiteren Station in der Geschäftsführung der Rewe Touristik GmbH trat er im November 2011 in die Geschäftsführung der FTI GROUP ein und leitete das Unternehmen gemeinsam mit Gründer Dietmar Gunz für knapp zehn Jahre, in denen die Veranstaltergruppe zur Nummer 3 in Europa heranwuchs. Seit 2018 ist Ralph Schiller wieder im Vorstand des Deutschen Reiseverbands e.V. (DRV) tätig. Zum 1. Januar 2021 übernahm er die operative Geschäftsführung sowie die Position des CEOs.
Das Interview führte Frank John