Alle meine gastronomischen Unternehmungen sind im Lauf der vergangenen 22 Jahre nach und nach entstanden. Meine wichtigste Erkenntnis, die ich übrigens sehr früh gewonnen habe, lautet: Ich muss die überflüssigste Person im ganzen Betrieb sein! Und zwar aus zwei Gründen: Als Unternehmer darf ich nicht im Betrieb arbeiten, sondern muss am Betrieb arbeiten. Sobald ich zu sehr ins Tagesgeschäft involviert bin, kann ich weder die Entwicklung vorantreiben noch eine Kontrollfunktion einnehmen. Der zweite Grund, warum ich überflüssig sein will, hat mit Respekt zu tun. Denn die Leistung eines Tageswerks bringt immer die Mannschaft. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob der Chef da ist, oder nicht! Deshalb war es mir von Anfang an wichtig, ein Team haben, das für sich genommen funktioniert und ohne ständige Anleitung klarkommt.
Das dürfte wohl kaum von heute auf morgen gelingen…
Gibt es feste Rituale in Ihrem Alltag, die dabei helfen, neue Kraft zu schöpfen?
Ja. Morgens nicht zu früh aufstehen. Leider klappt das so gut wie nie. Im Grunde genommen bin ich ein fauler Kerl, aber gleichzeitig sehr verantwortungsbewusst…
…weshalb der „faule“ Alexander Herrmann aufgrund der unternehmerischen Verantwortung dauerhaft zu kurz kommt?
Meine beiden Betriebe in Nürnberg habe ich ganz sicher nicht eröffnet, weil ich in Wirsberg nicht genug Arbeit hätte. Durch meine zunehmende Medienpräsenz sind einfach immer mehr Gäste ins Stammhaus nach Wirsberg gekommen. Nicht falsch verstehen: Ich arbeite wahnsinnig gerne als TV-Koch, aber ich habe es eben nicht selbst in der Hand, wie lange mich das Publikum noch sehen will. Wenn ich eines Tages nicht mehr so stark in der Öffentlichkeit stehe, fallen vermutlich auch einige Gäste weg. Diesen fehlenden Umsatz muss ich anderweitig kompensieren. Vor diesem Hintergrund habe ich mich bewusst für Nürnberg als zweiten Standort entschieden, um das Einzugsgebiet zu erweitern und auch die Existenz meiner Mitarbeiter langfristig zu sichern. Sie sehen also: Wenn ich morgens aufstehe, obwohl ich gerne noch ein wenig länger schlafen würde, liegt das schlichtweg am nächsten Termin, den ich wahrnehmen muss.
Das klingt nach einem extrem straffen Programm. Gönnen Sie sich denn auch einmal Urlaub?
Natürlich – wobei die Länge des Urlaubs von verschiedenen Faktoren abhängt und zwangsläufig recht unterschiedlich ausfällt. Ich habe beispielsweise seit 2016 in meinem Kalender einen Eintrag mit dem Titel „Option: AH macht vier Wochen Urlaub“. Das wollte ich eigentlich im Januar 2018 umsetzen. Als ich jedoch die Termine für meine Live-Tour geplant habe, war schnell klar, dass es einfach nicht klappt. Ich fürchte sogar, dass es vor 2020 nichts mehr wird…
Bei all dem, was Sie erzählen – wäre ein vierwöchiger Urlaub womöglich sogar ein mittelgroßer Kulturschock für Sie?
Offen gestanden, habe ich tatsächlich brutale Angst davor. Was mache ich zum Beispiel, wenn es mir so gut gefällt, dass ich nicht mehr zurück will? Und dann eingestehen muss, dass es nicht anders geht, weil das Geld aufgebraucht ist. Wenn ich dann wieder zu Hause bin und eigentlich keinen Bock mehr auf das habe, was der Alltag mit sich bringt – ich weiß nicht, ob das gut ist.
Gibt es Tage im Jahr, die Ihnen heilig sind?
Eigentlich nicht. Es ist eher so, dass ich mir freie Tage gezielt plane. Zum Beispiel gehe ich im April zusammen mit meinen Küchenchefs in München im Drei-Sterne-Restaurant essen. Und darauf freue ich mich wirklich schon.
Stichwort Mitarbeiter: Wie ist eigentlich das Verhältnis zu Ihrem Küchenteam – kumpelhaft, professionell oder doch eher distanziert?
Am wichtigsten sind gegenseitiger Respekt und Wertschätzung. Es ist so, dass ich alle Mitarbeiter duze, werde aber selbst mit „Sie“ angesprochen – sogar von Teammitgliedern, die mich teils seit Jahrzehnten kennen. Diese Form der Anrede sehe ich als Schutzmechanismus, damit man sich nicht zu nahe kommt. Manchmal brauchst du eben eine gewisse Distanz, um eine gesunde Form der Nähe zu schaffen.
Würden Sie sich selbst als autoritären Chef bezeichnen?
Meine Mitarbeiter wissen: Das, was ich sage, ist Gesetz. Dabei geht es mir jedoch in erster Linie darum, die Leute zu coachen und weiterzubringen. Wenn wir zum Beispiel ein Probekochen machen, erkläre ich dem Küchenteam genau, was gut umsetzt wurde und was verbessert werden muss. Und achte gleichzeitig darauf, keine Dinge zu verlangen, die das Team nicht leisten kann. Ich regiere nicht mit eiserner Hand, sondern mit dem Anspruch, das bestmögliche aus jedem Mitarbeiter herauszuholen.
Wenn Sie ein neues Menü austüfteln – geschieht das im stillen Kämmerlein oder ist das immer ein Gemeinschaftswerk?
Ich setze mich dazu grundsätzlich mit den Küchenchefs zusammen, um über die einzelnen Produkte zu beraten und die Gerichte zu entwerfen. Eine noch größere Runde wäre wenig zielführend, weil nicht jeder in der Lage ist, Menüs zu kreieren. In einer großen Runde müsste ich viel zu oft Nein sagen, was für die Betroffenen demoralisierend wäre. Sobald der kreative Prozess abgeschlossen ist, wird dem Team im Rahmen eines Probekochens das Ziel präsentiert, um gemeinsam die ideale Umsetzung zu entwickeln. Wenn am Schluss das Ergebnis steht, ist das also nicht mein Teller, sondern unser Teller. Das macht jedes Gericht, das wir anbieten, zu einem echten Gemeinschaftswerk.
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Teammitglieder aus?
Die Entscheidung, wer bei uns arbeitet, ist zu 98 Prozent rein menschlich. Die fehlenden zwei Prozent macht das Talent aus. Ich sehe das so: Wenn die Haltung passt, bringe ich dir in zwei Monaten alles bei, was du können musst, um in unseren Betrieben zu bestehen. Konstanz, Verlässlichkeit und Arbeitsmoral zählen dabei übrigens mehr als reine Geschwindigkeit.
Wie gehen Sie damit um, wenn’s im Laden wirklich mal brennt, und beispielsweise der Service ins Schwimmen gerät?
Ich habe mittlerweile das Glück, das nicht mehr selbst ausbaden zu müssen. Als ich früher noch selbst am Pass stand, war das natürlich anders. Heute bin eher nervös als gestresst, weil es ja ohnehin sinnlos wäre, in solchen Momenten einzugreifen. Ich sage mir immer: Mein Betrieb läuft auch gut, wenn ich da bin. Wirklich bedenklich wird es erst dann, wenn du – wie wir Gastronomen sagen – jeden Abend absäufst. Dann muss man ernsthaft überlegen, was geändert werden muss, damit Service und Küche die Chance haben, das Pensum zu schaffen.
Es heißt ja, der Gast sei gemeinhin der König. Aber wie weit dürfen Könige überhaupt gehen?
Für mich ist der Gast definitiv kein König! Das ist doch altes Denken. Ein König regiert und hat Untertanen. Wir Gastronomen sind keine Untertanen. Wir sind vielmehr Partner, die alles dafür tun, dass die Gäste einen schönen Abend haben.
Es ist sicher keine Seltenheit, dass Gäste ab und zu Sonderwünsche äußern. Wie weit sind Sie bereit, dem nachzugeben?
Das ist für mich überhaupt kein Thema. Wenn ein Gast das Steak durchgebraten haben will, kriegt er es durchgebraten. Natürlich gibt es aber auch Wünsche, die man nicht erfüllen kann. Wenn beispielsweise jemand bei uns in Wirsberg ein Stück Krokodilpfote bestellt, müssen wir auch mal Nein sagen.
Bei Ihrer „Koch-Late-Night-Show“ erzählen Sie auch von Erfahrungen mit schwierigen Gästen. Wie gehen Sie als Sternekoch mit solchen Kunden um?
Bei meiner Tour rede ich in erster Linie vom Gast zu Hause, nicht vom Gast im Restaurant. Generell muss man sich aber fragen, welche Verhaltensweisen überhaupt unter den Begriff „schwierig“ fallen. Es gibt beispielsweise Menschen, die weniger auf ihre Wortwahl achten als andere. Das muss man dann einfach mal aushalten.
Können Sie sich spontan an ein besonders witziges Erlebnis mit einem Gast erinnern?
Oft sind das ja Kleinigkeiten, die in einem ganz bestimmten Moment lustig sind, sich aber schlecht rekonstruieren lassen. Wirklich gut erinnern kann ich mich jedoch an einen Gast, der vor etwa zehn Jahren in Wirsberg einen Tisch für sich und seinen Papagei reserviert hatte und das Menü dann tatsächlich auch zusammen mit seinem Vogel genossen hat. Das war natürlich ziemlich kurios, hat mich aber dennoch berührt, weil das offensichtlich eine ganz besondere Verbindung von Mensch und Tier war.
Wie kam es eigentlich zu Ihrem Engagement als TV-Koch?
1996 hatte die Produktionsfirma der TV-Sendung „Koch-Duell“ angefragt, ob die Romantikhotel-Kooperation den Hauptpreis sponsern möchte. Da für einen zugehörigen Imagefilm jedoch 3.000 D-Mark fällig wurden, habe ich abgelehnt, mich stattdessen aber bereiterklärt, als Koch in der Sendung aufzutreten. Bei einem späteren Casting konnte ich dann offenbar überzeugen und war fortan einer von zwölf Kollegen, die gegeneinander zum Duell antraten.
Was macht Ihnen heute bei Fernseh-Shows am meisten Spaß?
Es gibt für mich zwei große Unterschiede: Das eine ist das klassische Kochen mit vorbereiteten Rezepturen, wie es beispielsweise bei „Kerners Köche“ stattfindet. Formate wie „The Taste“ leben hingegen von der Spontaneität, was ich besonders spannend finde. Es macht mir ungemein Spaß, gemeinsam mit den Kandidaten an deren Fähigkeiten zu feilen.
Bei all der Freude, die Ihnen „The Taste“ nachweislich bereitet – gibt es auch Situationen, die einfach nur nerven?
Klar. Wenn zum Beispiel die Gast-Juroren kommen und nicht verstehen, dass mein Team den besten Löffel geschickt hatte (lacht). Nein, im Ernst: Es ist mir einfach wichtig, dass die Entscheidung der Juroren nachvollziehbar ist. Bei abstrusen Begründungen werde ich schon mal sauer.
Was muss ein guter Koch-Coach – egal ob für Hobby-Köche oder Auszubildende – aus ihrer Sicht mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Es kommt darauf an, die Menschen nach ihren Erfolgen zu beurteilen, und nicht nach ihren Misserfolgen. Wer bereits viele Jahre in der Spitzengastronomie tätig ist, hat es häufig verlernt, in den richtigen Momenten zu loben, weil man selbst höchst selten gelobt wird. Das muss man sich immer wieder bewusst machen. Wenn jemand etwas gut gemacht hat, darf man das ruhig auch betonen. Wer ständig nur auf Fehler hinweist, raubt seinem Schützling das nötige Selbstvertrauen.
Zur Person
Alexander Herrmann wuchs in einer Hotelierfamilie in Wirsberg auf. Er besuchte die Hotelfachschule Bavaria Altötting, gefolgt von einer Kochlehre in Nürnberg und Hospitanzen in Belgien und Deutschland. Herrmann absolvierte die Prüfung zum Küchenmeister als Jahrgangsbester mit Auszeichnung der Bayerischen Staatsregierung. 1995 stieg er als Küchenchef in Herrmanns Romantik Posthotel in Wirsberg im Frankenwald ein, das seit 1869 im Besitz der Familie ist. Er wurde 1997 in den Kreis der Jeunes Restaurateurs d’Europe Sektion Deutschland aufgenommen, deren Präsident er von 2007 bis 2010 war. Sein Hotel verfügt über ein Sternerestaurant, ein Bistro und eine Kochschule. In Nürnberg veranstaltet er seit 2009 die Dinner-Show „Palazzo“ und betreibt die beiden Restaurants „Imperial“ und „Fränk’ness“. Mit seiner neuen „Koch-Late-Night-Show“ ist er seit Januar 2018 auf Deutschlandtour.