ERR NIERHAUS, WÜRDEN SIE DIE CORONA-KRISE EHER ALS INNOVATIONSTREIBER ODER ALS INNOVATIONSBREMSE BEZEICHNEN?
Corona ist ein Innovationstreiber. Dinge, die sich ohnehin verändern, verändern sich dadurch schneller. Wir reden hier aber nicht von Gastronomietrends, sondern von den im Hintergrund laufenden Megatrends. Diese beeinflussen die gesellschaftlichen Veränderungen. Corona verändert diese Megatrends. Dies ist zum Beispiel gut beim Thema Nachhaltigkeit zu sehen. Insgesamt ist das Thema in den letzten Jahren enorm wichtig geworden. Letztes Jahr jedoch, wollte auf Grund von Corona plötzlich wieder jeder seine Sachen einzeln verpackt haben. Auf den Tourismus übertragen bedeuten diese momentanen Megatrends: Der deutschsprachige Raum boomt und die Ferienhotellerie gewinnt, ganz im Gegensatz zu den Businesshotels.
WIE WIRD SICH DAS GÄSTEVERHALTEN DURCH DIE CORONA-SITUATION VERÄNDERN?
Die gesellschaftlichen Entwicklungen im Zuge der Pandemie beeinflussen auch die Gastronomie – zum Beispiel durch die Heimarbeit. In den Innenstädten sind weniger Büroarbeitsplätze besetzt. Bäcker und Restaurants mit Mittagstischen haben ein deutlich schlechteres Geschäft als vor Corona, genau wie Kantinen. Chancen haben dafür die kleineren Restaurants in den umliegenden Stadtteilen. Ein größeres Geschäft machen auch die Supermärkte, mit immer mehr vorbereiteten Mahlzeiten. Für den Normalgastronom sehe ich die Chancen eher im Abendgeschäft. Vor allem, wenn er sich nicht in einer A-Lage befindet, dann empfiehlt es sich, das Abendgeschäft umso besser zu gestalten oder das Angebot zu vereinfachen.
WELCHE ROLLEN WERDEN THEMEN WIE DAS INDIVIDUELLE ERLEBNIS, ABER AUCH DIE EINFACHHEIT UND DIE AUTHENTIZITÄT EINNEHMEN?
Sicher hat die Kettenhotellerie ihre Stärken, aber gerade durch Corona wird die individuelle Gastronomie und Hotellerie einen starken Zulauf bekommen. Menschen wollen sich wieder treffen und gemeinsam ausgehen. Erlebnisse sind enorm wichtig geworden. Die bloße Ernährung kann jeder selbst bestreiten. Die Gastronomie und Hotellerie müssen sich darum bemühen, Erlebnisse und Individualität zu bieten. Diesen Trumpf können die großen Ketten nicht ausspielen. Eine erlebnisreiche und individuelle Gastgeberschaft ist, bis auf Ausnahmen, eher eine Stärke der kleinen und mittleren Betriebe.
WAS IST NACH DEM LOCKDOWN EIN WICHTIGER RAT, DEN SIE GASTGEBERN ANS HERZ LEGEN KÖNNEN?
Mein erster Rat für den Normal-Gastronomen: Besinn dich auf deine Individualität, das ist der größte USP. Zweitens: Lass die Zahlen sprechen. Wo kann man abbauen? Ist der Montag schwach? Mach den Montag zu. Öffnungszeiten einzuschränken, ergibt oft Sinn, auch wenn sich das viele nicht trauen. Das Hofbräuhaus ist ein super Beispiel für eine gute und klare Struktur. Hier wird nicht jeder Sonderwunsch erfüllt. Trotzdem ist man dort sehr gastfreundlich. Auch das Hofbräuhaus hat eine einfach gehaltene Karte. Warum sollte man in einem Traditionsgasthaus drei Nudelvarianten auf der Karte haben? Zusammengefasst: Zeiten entschlacken, mitarbeiterfreundlich sein, und die Karte optimieren. Außerdem können und sollen viele Prozesse mit der Digitalisierung einfacher gemacht werden, zum Beispiel in der Warenwirtschaft. Aber, das Gasterlebnis muss immer analog bleiben. Das ist sehr wichtig.
WELCHE ROLLE SPIELEN REGIONALE PRODUKTE BEI AKTUELLEN TRENDENTWICKLUNGEN?
Wichtig sind Storys. Diese sind oft auch wirksamer als lediglich ein Bio-Siegel zu platzieren. Rezepte vom Großvater beispielsweise, Regionalität, Einfachheit und Authentizität können Geschichten vermitteln. Wir müssen auch wieder neue Generationen ansprechen: Traditionsküche ist beliebt. Aber sie ist viel einfacher und anders als vor 20 Jahren. Bei den Speisen kann man gut variieren. Wichtig ist es Innovationen zu integrieren – Rezepte neu zu interpretieren. Eine Kombination aus gleichbleibenden Signature Dishes, wie im amerikanischen Marketing, und neu interpretierten Rezepten könnte da zielführend sein. Um junges Publikum anzusprechen, kann man beispielsweise die Vorspeisen verändern. Hier kann man auch mal exotisch werden. Wichtig ist nur, immer die Brücke zu sich selbst zu schlagen. Denkbar wären beispielsweise ausgefallenere Speisen, aber mit heimischen Zutaten.
WELCHE TRENDS SEHEN SIE BEI GETRÄNKEN? WAS KÖNNEN GASTRONOMEN HIER BESSER MACHEN?
Eben Beschriebenes funktioniert auch mit Drinks: Ein Lokal in Berlin erfand das Getränk „Bauernmädchen“: Schmeckt wie Caipirinha, beinhaltet aber Norddeutschen Schnaps. Hier wurde ein internationales Gericht mit heimischen Zutaten übersetzt. Die Signatur ist sehr wichtig, dennoch sollte mit Vorspeisen oder Getränken gespielt werden. Hier kann auch ein wenig Internationalität eingebracht werden. Ich denke, das könnte derzeit ein kleiner Ersatz für ausbleibende Fernreisen sein
WIE ENTWICKELT SICH DIE GASTRONOMIE MIT UND NACH DER KRISE?
Auch nach der Pandemie wird es geänderte Gastro-Konzepte geben. Hierzu zählt beispielsweise die Desinfektion oder die Bewirtung kleinerer Personenzahlen. Auch Luftreinigungsgeräte sind ein Thema. Dem Gast muss signalisiert werden, dass er sich absolut sicher fühlen kann. Es muss aktiv kommuniziert werden, dass der Wirt mitdenkt und seine Gäste schützt.
WAS GEBEN SIE DER HOTELLERIE UND GASTRONOMIE FÜR DIESES JAHR MIT AUF DEN WEG?
Kleinere und mittlere Betriebe: Bekennt euch zu eurer Individualität und seid gute Gastgeber! Die Kommunikation und das Marketing können mit digitalen Tools bestritten werden. Die Präsenz in sozialen Medien kostet kein Geld – nur Zeit. Die Gäste werden wieder kommen. Achtet aber drauf, das Corona-Thema nicht zu sehr auszubreiten. Die Leute, die zu uns kommen, wollen kein Gejammer hören. Sie wollen ein Erlebnis und Menschen treffen.
MITMACHEN UND GEWINNEN
Unter allen Lesern, die mit dem Stichwort „Trendexperte“ bis 30. Juni 2021 eine E-Mail an f.john@gastgeber.bayern senden, werden drei signierte Exemplare des neuen Buchs „Traditionsreich“ von Pierre Nierhaus verlost. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.