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leisure, Workation, Remote Work – sind das die neuen Marketing-Kühe, die durchs Dorf getrieben werden? Nein. Entwickelt der Tourismus hier ernsthafte Strategien, entsteht eine neue Win-Win-Situation für Gäste, Gastgeber und Destinationen. Gerade in Bayern.
Es ist wie immer. Das grobe Themenfeld ist nicht neu. Denn Tage mit Bergkulisse und anschließendem Team-Klettern gibt es schon lange. Und Bayern war und ist hier immer vorn mit dabei gewesen. Aber das Tagungs- und generell das Geschäftsreise-Segment steht mit klammen Firmenbudgets, wachsenden ESG-Forderungen und neuen Technologien unter neuem Druck. Zugleich aber verändert die Möglichkeit, von überall aus seinen Job machen zu können, nicht nur die Arbeitswelt, sondern sie kann als Booster für den Tourismus wirken – mit Bleisure, Workation, Coworkation und Co.
Bleisure-Reisen, also das private Verlängern der Geschäftsreise an einem fremden Ort um einige Tage, gab es schon vor dem Aufstieg des digitalen Arbeitens. Aber mit dem Fachkräftemangel findet Bleisure mehr Akzeptanz in Personalabteilungen und wird von immer mehr Unternehmen in den Reiserichtlinien samt Kostenklärung fixiert. Mit gutem Grund: Laut einer DRV-Studie haben 2022 83 Prozent der deutschen Geschäftsreisenden, die die Möglichkeit hatten, ihren Business-Termin privat verlängert. Die Mehrheit plant dies auch künftig.
Auch Workations – also das zeitweise Arbeiten an einem Wunschort samt Freizeitoptionen – ist längst nicht mehr nur ein Thema für digitale Nomaden. Auch Beschäftigte in großen wie kleinen Unternehmen haben Lust entwickelt, vor allem die jüngeren: Eine PWC-Studie betont, dass die Generation Y es inzwischen zu über 80 Prozent als (sehr) wichtig empfindet, Workation-Optionen zu haben, wenn sie sich nach einem neuen Job umsieht.
Die Wirtschaft reagiert und schreibt zunehmend mögliche Workation-Tage in den Arbeitsverträgen fest – ob Adidas mit zehn Tagen oder das Online-Portal Idealo mit 180. Das Gros der Firmen erlaubt 30 Tage und beschränkt den Radius auf die EU. Warum? Weil hier viele Sozialversicherungs- bis Steuerthemen geklärt sind, im Inland sowieso.
Als größte Hürde für Unternehmen, die Workation-Optionen anbieten wollen, gelten Rechtsthemen. Aber der Markt professionalisiert sich stetig. Software-Anbieter entwickeln beispielsweise Tools für Workation-Anträge und erleichtern so Arbeitgebern wie Arbeitnehmern die Organisation rechtssicherer Workation-Aufenthalte. Vereine wie „Coworkation Alps“, die 50 Mitglieder in 27 Locations und vier Alpenländern bündeln, haben ein Gütesiegel aufgesetzt, das die Qualität eines Anbieters prüft und so für einen wachsenden Standard sorgt. Coworkation im Alpenraum also, für organisierte Reisen in besonderen Locations mit arbeitsfreundlicher Infrastruktur und viel Raum für Austausch, Gemeinschaft und Rahmenprogramm.
Hier wie auch mittlerweile in Tourismus-Hochschulen wie München und Kempten betont man die Vorteile von Bleisure- und Workation-Angeboten für Hotels wie Destinationen – dies mit Schlagworten wie Auslastungssteigerung, Nebensaison-Stärkung und neuen Zielgruppen. Beherbergungsbetriebe gewinnen ein moderneres Image, Destinationen ziehen Arbeitskräfte an und stärken den ländlichen Raum. Und Gäste, die wie bei Bleisure, nicht mehr extra anreisen müssen, agieren nachhaltig.
Es tut sich also mittlerweile einiges im Markt. Laut einer Studie der IU Internationale Hochschule hat jeder dritte Touristiker (vor allem DMOs und Hotels) bereits begonnen, spezifische Bleisure-Angebote zu entwickeln, und fast ebenso viele haben sich dafür mit Partnern zusammen[1]geschlossen. Coworkation Alps ist hier auch für Bayern ein besonderes Beispiel. Ebenso schielen Traditionsbetriebe wie das Kempinski in München auf mehr Bleisure, beispielsweise mit der Verlängerung im Kempinski Berchtesgaden. Das 2020 eröffnete Flax Allgäu in Dietmannsried positioniert sich als Bleisure-Hotel bei Firmen in der Umgebung und verzichtet auf einen Preisaufschlag für die zweite Bleisure-Person, die nachkommt. Zudem gibt es Kombi-Angebote mit den Gambino Hotels in München, die auch das Flax betreiben. Speziell auf Workation setzen auch das Gut Steinbach mit Workation-Chalets in Reit im Winkl. Und es entstehen neue Angebote wie der umgebaute Bauernhof d’Kammer in Kronburg im Allgäu. „Das ist gut so“, sagen Wissenschaftler. Das Potenzial für Bleisure und Workation sei zwar groß, aber es brauche noch mehr passgenaue Angebote und Infrastrukturen.
Bayern dürfte hier bereits viele Vorschusslorbeeren mitbringen: mit der zentralen Lage in Mitteleuropa, vielen Unternehmen vor Ort und der zugleich starken touristischen Infrastruktur. Ganz getreu dem Motto: „Laptop und Lederhose – aber weitergedacht.“.
Sylvie Konzack ist seit über 15 Jahren Hospitality-Fachjournalistin, darunter viele Jahre als Chefredakteurin des Magazins First Class in München. Seit 2018 arbeitet sie als freie Autorin für Hospitality-, Reise-, und Wirtschaftsmedien und gründete im gleichen Jahr den Bleisure Traveller als Geschäftsreisemagazin mit. Zudem verantwortet sie seit 2021 „SO!APART insight“, ein Fachmagazin für Serviced-Apartment-Akteure.