ieber Lucki, seit Sommer 2016 betreibst Du in einem mehr als 300 Jahre alten Bauernhaus das Pop-up-Restaurant STOI – inklusive Kochschule und Wagyu-Manufaktur. Warum hast Du Dich für genau dieses Konzept entschieden?
Die Grundidee war zunächst einmal, ein Restaurant zu eröffnen. Aber eben auf eine Art und Weise, wie es mir auch wirklich Spaß macht. Ich komme aus der traditionellen bayerischen à-la-Carte-Gastronomie ohne Ruhetag und kenne daher sämtliche Herausforderungen, mit denen man im Gastgewerbe konfrontiert wird, nur zu gut – seien es übertriebene Dokumentationspflichten, die nicht praxistaugliche Arbeitszeitenregelung und die Frage nach gerechter Entlohnung. All das macht es in Summe immer schwieriger, als Gastronom jeden Tag aufs Neue die Leistung zu erbringen, die man sich selbst als Maßstab setzt. Deshalb stand für mich fest: Wenn ich mein Restaurant sieben Tage die Woche öffne, wird das kaum gelingen. Hinzu kommt: Der Gast muss am Ende das alles wertschätzen, was im Betrieb geleistet wird. Vor diesem Hintergrund bin ich froh, den Luxus zu haben, nur an bestimmten Tagen aufzusperren und dann auch nur eine kleine, aber feine Auswahl an Speisen für eine feste Anzahl an Gästen anzubieten. Im Grunde genommen läuft das ähnlich wie bei einem AC/DC-Konzert: Die Band spielt einmal im Jahr in der Olympiahalle – wer dabei sein will, muss Karten kaufen und sich an besagtem Tag Zeit nehmen.
Das wäre natürlich anders, wenn in Deinem Betrieb wie bei den meisten anderen Restaurants mit Reservierungen gearbeitet wird…
Das habe ich ja alles schon erlebt. Nicht selten ist es vorgekommen, dass ein Gast einen Tisch drei Monate lang blockiert hat und dann nicht auftaucht. Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich kann immer einmal etwas Wichtiges dazwischenkommen. Aber zu Angus Young kann ich auch nicht einfach sagen: Du, wir können heute Abend nicht, wir hätten gerne das Geld für die Eintrittskarten zurück. Da muss ich eben selbst schauen, an wen ich die Karten weitergebe. Ich wünsche mir ein Gastronomiekonzept, das mich nicht einengt. Das mir die Möglichkeit gibt, im Vorfeld abzuklären, ob Allergiker oder Veganer kommen. Außerdem war mir wichtig, dass es im Restaurant kein W-LAN gibt. Da ist mir auch völlig egal, dass wir im Jahr 2019 leben. Ich will einfach nicht, dass meine Köche unendlich viel Zeit für die Vorbereitung eines tollen Menüs investieren und die Gäste während des Essens mit dem Smartphone spielen.
Alternativ könnte man sich ja auch einfach mal wieder mit den Tischnachbarn unterhalten, oder?
Ich will mich ganz sicher nicht älter machen, als ich tatsächlich bin – aber ich kenne es von früher, dass man beim Essen gute Gespräche führt. Genau das ist ein weiterer Grundgedanke des STOI: eine ehrliche, normale Gastronomie, in der tolle Lebensmittel verarbeitet werden, die Mitarbeiter anständig bezahlt werden und die Gäste sich aufs Wesentliche konzentrieren.
Findet dieses Konzept beim Publikum Anklang?
Ganz ehrlich: Mir ist wurscht, ob das funktioniert. Das STOI ist nicht das Standbein, das wir zum Überleben brauchen. Wir haben zum einen unser Catering-Unternehmen, das 75 Prozent unseres Gesamtumsatzes ausmacht, wir haben unsere Landwirtschaft, die die Fixkosten für den ganzen Hof deckelt, und wir haben unsere Kochkurse und Koch-Shows. Ich sehe mich als eigenständige Marke, trete auf Messen auf, bin Buchautor. Will heißen: Wenn ich ein Restaurant betreibe, dann g’scheit – also ohne immer auf die Umsätze schielen zu müssen.
Und welche Altersgruppe ist unter Deinen Gästen am stärksten repräsentiert?
Ich bin Jahrgang 1980, gehöre zu einer Generation, die während der Ausbildung Kochmütze, Halstuch, karierte Hosen und weiße Jacke getragen hat. Ich persönlich hatte aber immer das Gefühl, das mich die Uniform kreativ einschränkt. Deshalb ist es aus meiner Sicht wenig zielführend, die Gäste zu kategorisieren. Es ist doch Unsinn zu glauben, dass Lehrer, Anwälte und Ärzte mehr Ahnung von Kulinarik haben als Fliesenleger oder Schreiner. Mein Konzept richtet sich an jedermann. Wenn ich mir die Klientel etwas genauer anschaue, dann ist vom tätowierten Rocker mitn langen Haaren bis hin zum geschniegelten Professor alles dabei – obwohl bei uns ein hochwertiges Menü 185 Euro kostet. Und genau das wollen wir. Bei uns geht’s nicht um Etikette, sondern um Genuss.
Es kommt also nicht auf die Ausbildung oder das Bankkonto an, sondern auf die Liebe zum Produkt…
Letztendlich ist es so. Klar kann sich ein Akademiker eine Flasche 30 Jahre alten Bordeaux eher leisten als ein einfacher Arbeiter. Aber kann er den Wein auch bewerten? Das ist die andere Frage. Nicht umsonst verzichten wir im STOI auf typische Delikatessen wie Trüffel, Kaviar, Austern und Gänsestopfleber.
Du giltst in Fachkreisen als der Fleischpapst schlechthin. Und Du bist einer der wenigen, der das Prinzip „From Nose to Tail“ wirklich lebt und dieses Wissen auch im Rahmen von Kochkursen weitergibt. Sprichst Du dabei eher Profis oder interessierte Laien an?
Wir geben unsere Kochkurse für alle Schichten. Das ist wiederum ein ausschlaggebender Punkt für unsere Auslastung. Montag und Dienstag besuchen uns meistens Gastronomen, weil die Betriebe da in der Regel ihre Ruhetage haben. Am Wochenende kommen hingegen eher Hobby-Köche. Die Nose-to-Tail-Philosophie ist vor allem für Gastronomen interessant, weil sie auf diese Weise den Wareneinsatz optimieren können. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich ein Kilo Rinderfilet für 44 Euro kaufe oder Rinderhüfte für 16 Euro. Davon abgesehen, gibt es keine schlechten Teile vom Rind. Es gibt nur schlechte Köche. Gott sei Dank hat in diesem Bereich inzwischen ein Umdenken stattgefunden. Dabei denke ich zum Beispiel an Heiko Antonievicz, der mit seinen progressiven Kochtechniken im Bereich Niedertemperaturgaren wirklich das ganze System revolutioniert hat. Das zeigt: Mit moderner Küchentechnik und modernem Personalmanagement kann man auch mit günstigen Waren extrem hochwertige Gerichte zubereiten.
Ein weiterer Trend der modernen Küche heißt „From Root to Leaf“. Macht ihr das auch?
Es ist immer wichtig, Trends zu begreifen, aber nicht jedem Trend zwingend zu folgen. „From Root to Leaf“ ist nichts anderes als die vegetarische Alternative zu „From Nose to Tail“. Unterm Strich ist das ja keine neue Erfindung. Wenn ich an meine Kindheit denke, hat meine Oma nicht einen Brokkolistängel weggeworfen. Genauso wenig die Kohlrabiblätter. Es ist doch das Logischste auf der Welt, das ganze Lebensmittel zu verwenden – egal ob bei Fleisch oder Gemüse. Zusammen mit Christian Mittermeier, dem Inhaber der Villa Mittermeier in Rothenburg, machen wir übrigens eine Aktion mit dem Titel „F*CK MHD“, mit der wir uns gegen die bewusste Lebensmittelverschwendung engagieren und ein Acht-Gang-Menü aus Zutaten kreieren, die eigentlich nicht mehr gesellschaftsfähig sind – weil eben das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder die Lebensmittel nicht mehr so schön aussehen, wie es sich alle wünschen. Als bekennender Fleischliebhaber werde ich häufig gefragt, was ich von Vegetariern und Veganern halte. Da sage ich immer: Grandios, das sind Menschen, die sich Gedanken über ihre Ernährung machen. Das ist doch tausendmal besser als Massentierhaltung zu unterstützen.
Gibt es auch negative Rückmeldungen bezüglich der ganzheitlichen Vermarktung von Rindern?
Klar, die gibt es. Wenn ich beispielsweise im Fernsehen als Fleischpapst auftrete und erzähle, dass ich von der Schnauze bis zum Schwanz alles zum Kochen verwende, echauffiert sich natürlich immer eine Handvoll militanter Aktivisten. So nach dem Motto: Wie kann man nur Tiere töten, um sich zu ernähren? Auch hier muss ich ein wenig ausholen: Meine Frau war in ihrer Jugend elf Jahre lang Vegetarierin. Sie hat es damit begründet, dass ein Tier nur einen Instinkt, der Mensch aber einen Verstand habe, den er nutzen sollte. Ich glaube jedoch, dass der komplette Verzicht auf tierische Lebensmittel die Natur genauso aus dem Gleichgewicht bringt. Auch hier lohnt nämlich der Blick in die Vergangenheit: Es war immer die gesunde Ausgewogenheit zwischen Jagd und Landwirtschaft, die den Menschen das Überleben ermöglicht hat. Wenn wir da wieder hinkämen, wäre das Problem gelöst.
Wenn wir schon bei vegetarischer Ernährung sind: Kannst Du unseren Lesern einen guten, akzeptablen Fleischersatz empfehlen?
Wenn mich jemand um einen Ernährungstipp bittet, sage ich immer: Jeden Tag nach dem Aufstehen eine Halbe (lacht). Spaß beiseite! Am Ende geht doch einfach nur ums gesunde Maß. Viel Gemüse, viel frisches Obst, einmal in der Woche einen g’scheiten Fisch, einmal in der Wocheeinen g’scheiten Braten – dann ist alles in Ordnung.
Wer einen Blick in Dein Gästebuch wirft, erkennt sofort, dass der ethische Umgang mit Tieren bei Euch eine ganz zentrale Rolle spielt. Hast Du diese Haltung von der Familie mit auf den Weg bekommen oder in der Ausbildung kennengelernt?
Ich denke, das ist meiner Kindheit geschuldet. Auf unserem Bauernhof habe ich schon in jungen Jahren den Unterschied zwischen Haustier und Nutztier gelernt. Uns Kindern war klar, dass das Kalb oder das Ferkel früher oder später geschlachtet wird. Dennoch hatten wir natürlich Bezug zu den Tieren. Aber genau daraus resultiert letztlich auch der ganzheitliche Ansatz, den ich heute verfolge. Zum Beispiel ging es früher schon darum, wer die Nase vom Spanferkel, die Backerl vom Fisch oder das Herz vom Hähnchen bekommt.
Wolltest Du eigentlich schon immer Koch werden?
Ich wollte nie Koch werden! Koch war für mich der schlimmste Beruf, den es gibt. Mit Kochen habe ich immer zehnflammige Gasherde und den rauen Ton in der Küche verbunden. Ich dachte mir damals: Wie kann man nur so bescheuert sein und so hart für so wenig Knete arbeiten? Wenn wir ehrlich sind, ist diese äußere Wahrnehmung auch heute noch einer der Gründe für den Fachkräftemangel in der Gastronomie. Warum sollte jemand freiwillig auf sein soziales Umfeld und auf seine Freizeit verzichten, und im Gegenzug wenig Geld zu bekommen und auch noch angeschnauzt zu werden? Wenn mich heute jemand fragt, ob es sich lohnt, Koch zu werden, sage ich: Die Hauptschule habe ich mit Ach und Krach geschafft, wurde Koch, war in Skandinavien, Argentinien, Australien, habe mir die Welt angeschaut. Ich habe Chateau Petrus getrunken, durfte Kobe-Beef probieren. Das sind Privilegien, die du als IT-Experte oder Handwerker nicht erfährst.
Offensichtlich hast Du viel Spaß an Deinem Beruf. Gibt es bestimmte Momente, auf die Du Dich jeden Tag aufs Neue freust?
Am meisten bedeutet mir, dass meine Tätigkeit abwechslungsreich ist. Jeden Tag nur meinen einen Posten zu betreuen, das wäre auf Dauer nichts für mich gewesen. Deshalb habe ich mich bewusst fürs Catering entschieden. Neue Standorte, neue Gäste, du weißt nie, was passiert. Das ist immer ein bisschen Rock’n’Roll. Und das ist eben meine Leidenschaft! Ich freue mich, wenn wir auf einem großen Metal-Festival 1.000 Gäste bewirten, obwohl es nicht einmal ein Waschbecken gibt. Diese Herausforderungen sind buchstäblich das Salz in der Suppe. Genauso spannend finde ich es, in ruhigeren Zeiten, neue Rezepte zu entwickeln und Ideen zu sammeln, die später im Tagesgeschäft umgesetzt werden. Das ist sozusagen wie auf dem Bauernhof: Im Sommer wird das Heu gemacht, im Winter das Holz. Alles hat seine Zeit.
Und gibt es auch etwas, das du beim Kochen persönlich verfluchst?
Ich habe mittlerweile das Glück, dass ich nichts mehr verfluchen muss. Früher waren es uneinsichtige Gäste, die ihre schlechte Laune am Personal auslassen. Aber solche Gäste gibt es bei uns ja nicht mehr!
Du hast gesagt, Kochen ist Rock’n’Roll. Da dürfte ja auf der Hand liegen, welche Musik bei Euch in der Küche läuft…
Rock, Blues, Reggae – je nach Laune eben. Wenn’s in der Küche gerade abgeht, gerne auch was Härteres. Während des Service ist jedoch Stille angesagt, da müssen alle konzentriert sein. Ich mag keine laute Musik, wenn kommuniziert wird.
Zur Person
Ludwig „Lucki“ Maurer ist der jüngste Spross einer alteingesessenen Gastronomen- und Wirtsfamilie aus Bayern. Er hat mit 15 Jahren eine Kochlehre begonnen. Nach einigen Stationen in Deutschland machte er auf der Hotelfachschule die Ausbildung zum Hotelfachmann und später seinen staatlich geprüften Küchenmeister. Bereits 2003 kommt er zu seinem kulinarischen Ziehvater Stefan Marquard, mit dem ihn bis heute eine tiefe Freundschaft verbindet und für den er über zehn Jahre viele Veranstaltungen in führender Position umgesetzt hat. 2007 startete Maurer mit seiner Frau Stephanie als erster in Europa mit der Zucht von Wagyu-Rindern auf ökologischer Basis. Er betreibt das Catering Unternehmen Ludwig Maurer´s MEATing Point und arbeitet darüber hinaus für Magazine wie „BEEF“ und „Rolling Pin“ als Fleischexperte. Zu seinem Spezialgebiet Fleisch und der ganzheitlichen Verarbeitung gibt er Praxisworkshops für Köche in deren Betrieb und gibt Fachpraxis Unterricht an der Küchenmeister Akademie.
***GEWINNSPIEL***
Unter allen Lesern, die bis zum 29. März 2019 eine E-Mail mit dem Stichwort „Beef“ an f.john@gastgeber.bayern schicken, verlosen wir drei Ausgaben von Ludwig Maurers aktuellem Kochbuch „Veredelung“. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Die Gewinnspiel-Teilnahmebedingungen findest du HIER.