ater Anselm Grün, Sie haben gerade zur Krise das Buch „Quarantäne. Eine Gebrauchsanweisung“ herausgebracht. Zurückgezogenheit und Einkehr gehören für Sie als Benediktinerpater zum Alltag. Sind Sie dann sozusagen Fachmann für den guten Umgang mit sozialer Distanzierung? Und Herr Engemann, für einen Vertriebschef wie Sie dürfte das dagegen sehr schwer sein, richtig?
Pater Anselm Grün: Im Kloster sind wir es gewohnt, ein gutes Verhältnis von Nähe und Distanz zu wahren. Wir haben unsere Zelle, in der wir für uns sind. Und wir haben gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsames Chorgebet und gemeinsame Gespräche, bei denen wir das Miteinander erfahren. Durch die Corona-Krise ist in vielen Familien das Verhältnis von Nähe und Distanz durcheinandergeraten. Daher ist es die Aufgabe, ein neues, ausgeglichenes Verhältnis von Nähe und Distanz zu schaffen, damit man sich nicht gegenseitig auf die Nerven geht.
Engemann: Für mich ist die aktuelle Situation natürlich eine Umstellung und Herausforderung zugleich. Normalerweise bin ich sehr viel unterwegs, man könnte also durchaus von „stark erschwerten Bedingungen“ für meine Arbeit sprechen. Da zahlt es sich aus, wenn man schon in den Jahren davor persönliche Kontakte gepflegt und sich ein gutes Netzwerk aufgebaut hat. Dann funktionieren Gespräche auch über andere Kommunikationskanäle gut. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man Offenheit gibt, diese in den allermeisten Fällen auch entgegengebracht bekommt.
Wirte haben oft auch seelsorgerische Tätigkeit in einer Gemeinde und halten ebenso wie Geistliche den Ort zusammen. Das funktioniert nun nicht mehr, da Wirtshäuser geschlossen sind und Gottesdienste ausfallen. Wie beurteilen Sie das und gibt es da Abhilfe?
Pater Anselm Grün: Sowohl die Kirchen als auch die Gasthäuser haben eine wichtige Aufgabe für unsere Gesellschaft. Da die Gesellschaft auf beide Dienstleistungen verzichten muss, wächst – so hoffe ich – eine neue Wertschätzung für den Dienst der Kirchen und auch für den Dienst der Gasthäuser, dass sie Orte des Miteinanders schaffen und der Begegnung untereinander.
Man sagt, Essen hält Leib und Seele zusammen. Wie ernähren Sie sich – ein vielbeschäftigter Mönch und ein Vertriebsvorstand?
Pater Anselm Grün: Ich esse, was mir im Kloster vorgesetzt wird. Damit bin ich zufrieden. Aber es nährt mich nicht nur das Essen, sondern auch die Stille, das Lesen und Meditieren.
Engemann: Mir ist eine ausgewogene Ernährung sehr wichtig, gerade weil ich in der Regel viele Termine habe. Da möchte ich nicht „irgendwas zwischendurch“ essen. Unser SDK-Betriebsrestaurant hat hier glücklicherweise ein tolles Angebot, sodass ich auch etwas Gesundes essen kann. Bei mir zu Hause in Bamberg kochen wir gerne, vor allem mit Zutaten aus dem eigenen Garten oder vom Bauernmarkt. Wir nutzen bewusst auch den Abholservice aus lokalen Gaststätten, um die Gastronomie vor Ort, die ich sehr schätze, zu unterstützen.
In Hotels und Gaststätten ist sprichwörtlich Stille eingekehrt. Wie gehen Sie mit Stille um, können Sie etwas Positives daraus ziehen?
Pater Anselm Grün: Für mich ist die Stille ein wichtiges Element in meinem Leben. In der Stille kann ich die Probleme der Menschen und meine eigenen loslassen. Ich horche auf die innere Stille, auf die Gedanken und Gefühle, die in mir auftauchen. So lerne ich mich selber besser kennen. Und ich erfahre in der Stille oft, dass ich umgeben bin von Gottes heilender und liebender Nähe. Das tut mir gut.
Engemann: Auch mir ist Stille wichtig, vor allem am Abend. Ich versuche, immer wieder innezuhalten und zur Ruhe zu kommen, als Ausgleich zum Alltag. Daher war ich auch schon mehrfach Gast bei Pater Anselm Grün in der Abtei Münsterschwarzach. Die Seminare und Gespräche mit Pater Anselm und auch die Ruhe dort sind für mich jedes Mal auf’s Neue erdend und inspirierend.
Die Coronakrise hat die Gesellschaft schwer getroffen. Bei vielen Menschen kommen Ängste zum Vorschein. Angst um die Gesundheit. Angst um die Existenz. Wie kann man mit diesen Ängsten umgehen, welche positiven Rituale können da helfen?
Pater Anselm Grün: Wir sollen die Ängste nicht verdrängen, sondern sie offen anschauen. Aber wir sollen uns von der Angst nicht lähmen lassen, sondern sie als Herausforderung betrachten, kreativ darauf zu reagieren. Welche neuen Ideen tauchen in mir auf, wie ich auf die Krise reagieren soll? Welche neuen Ideen entdecke ich für die Zeit nach der Krise? Will ich mein Hotel oder meine Gastwirtschaft genauso weiterführen? Oder möchte ich neue Akzente setzen?
Engemann: Es kann auch helfen, nicht alles mit sich selbst auszumachen. Auch wenn wir unsere Lieben derzeit vielleicht nicht persönlich besuchen können, so sollten wir dennoch Kontakt halten und uns austauschen und dabei auch über unsere Ängste offen sprechen. Und oft ist es auch tröstend, anderen Trost spenden oder helfen zu können, insbesondere Menschen, die eher auf sich alleine gestellt sind.
Welche Werte kommen in dieser Zeit der Krise nun besonders zum Vorschein? Sind es aus Ihrer Sicht gerade die christlichen Werte, wie zum Beispiel Nächstenliebe? Und welche Rolle spielt Wertschätzung dabei, vor allem gegenüber denen, die derzeit unser System am Laufen halten? Wie kann man Wertschätzung zeigen?
Pater Anselm Grün: In der Krise kommen Licht- und Schattenseiten im Menschen hoch. An Lichtseiten erlebe ich eine neue Solidarität untereinander. Das entspricht dem christlichen Wert der Nächstenliebe. Und wir erleben eine neue Wertschätzung für die Menschen, die der Gesellschaft dienen, für die Ärzte und Pflegekräfte, für die Polizisten und Polizistinnen. Und ich hoffe, dass man nach der Krise auch den Wert der Gastwirte neu schätzt. Denn sie tragen wesentlich bei zu einem Klima der Menschlichkeit und Gastfreundlichkeit in unserer Gesellschaft.
Engemann: Das empfinde ich genauso. Bei der SDK zeichnet sich in dieser Zeit ein tolles Bild aus Solidarität, gegenseitigem Verständnis und Unterstützung. Diese Entwicklung, dieses Miteinander, freut uns als Vorstand sehr. Wir versuchen, unseren Mitarbeitern etwas zurückzugeben, indem wir sie in verschiedenen Dingen unterstützen, zum Beispiel durch die Ermöglichung von Heimarbeit, oder der Bereitstellung von Atemschutzmasken.
Wie kann sich aus dieser für den Großteil der Gesellschaft schwierigen Situation auch etwas Gutes entwickeln?
Pater Anselm Grün: Das Gute, das sich für mich aus der Krise entwickeln kann, ist einmal eine größere Solidarität, das Gespür, dass wir alle miteinander verbunden und für einander verantwortlich sind. Dann entsteht eine neue Nachdenklichkeit: Was ist das Wesentliche in unserem Leben? Und ich hoffe, dass auch eine neue Offenheit für Gott entsteht. Was ist der Sinn meines Lebens? Wofür strenge ich mich letztlich an? Aus welcher Quelle lebe ich?
Engemann: Es wäre gut, wenn sich – auch nach der Krise – jeder auf das besinnt, was wirklich bedeutsam und wertvoll im Leben ist. Das Miteinander in der Familie, das Vertrauen auf Freunde. Auch wäre es schön, wenn man sein Bewusstsein geschärft hat, zu erkennen was notwendig und gegebenenfalls überflüssig ist. Muss ich beispielsweise zukünftig wirklich die Dienstreise machen oder gelingt es mir und meinem Gegenüber, die Gespräche auch per Video- oder Telefonkonferenz zu machen? Es würde mich freuen, wenn wir gestärkt aus der Krise hervorgehen und nicht wieder nach dem ständigen „höher, weiter, schneller“ trachten.