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arlheinz Jungbeck gehört seit Mai 2021 als ADAC Tourismuspräsident dem Präsidium von Europas größtem Verein an. In seinem Ehrenamt steht der Oldtimer-, Motorboot- und Kunst-Liebhaber insbesondere für Wirtschaftlichkeit, Sichtbarkeit und Nachhaltigkeit. Im exklusiven Gespräch mit Gastgeber-Bayern gibt der Tourismus-Fachmann einen Einblick in die gegenwärtige Lage der Branche und zeigt auf, an welchen Stellen es sich lohnt, Vergleiche mit den europäischen Nachbarn zu ziehen und an welchen Punkten sich das bayerische Gastgewerbe am besten auf sich selbst besinnen sollte.
Herr Jungbeck, als Tourismuspräsident des ADAC sind Sie bestens mit der aktuellen Marktlage und den derzeitigen Herausforderungen für den Tourismussektor vertraut. Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, auf die sich der bayerische Tourismussektor einstellen muss?
Ich glaube, ein großes Thema wird zukünftig die Finanzierung sein. Nicht der bayerische Tourismus im Ganzen, aber speziell die Anbieter, die sogenannten Leistungsträger, werden sich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Es ist ja bekannt, dass die Margen im Tourismus – insbesondere im Bereich der Gastronomie und Hotellerie – nicht besonders hoch sind. Wir bewegen uns hier meist im niedrigen einstelligen Bereich. Diese Margen machen es natürlich schwierig, ein profitables Geschäft aufzubauen. Denn wenn bei einer verhältnismäßig dünnen Kapitaldecke etwas Unvorhergesehenes passiert, seien es steigende Energiepreise oder eine Pandemie wie Corona etwa, dann stoßen Anbieter sehr schnell an ihre Grenzen. Diese Situation wird auf absehbare Zeit kaum besser werden, denn die Unsicherheiten bleiben hoch. Zusätzlich wird es wichtig sein, dass sich die Leistungsträger nicht nur auf den Wettbewerb in Deutschland fokussieren. Das ist wie bei einem Wein: Der Mitbewerber für einen Frankenwein kommt ja nicht nur aus Rheinhessen, sondern aus Italien, Spanien, Frankreich, zum Teil auch aus Neuseeland oder Amerika. Dieser Wettbewerbssituation müssen sich die Winzer bewusst sein. Und das trifft aus meiner Sicht genauso für Gastronomen und Hoteliers zu. Wenn der Urlaub in Antalya weniger kostet als in Deutschland, ist das für kostensensible Familien durchaus auch ein Entscheidungskriterium, letzten Endes doch ins Ausland zu fahren.
Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass das Auto derzeit das Reisemittel der ersten Wahl ist. Diesbezüglich sind wir bereits wieder bei dem Niveau vor der Corona-Pandemie angelangt. Meiner Einschätzung nach ist das durchaus auch eine Folge der Pandemie – denn das Auto hat sich als eine Art kleine, geschützte Zelle, in der ich mich vor allzu vielen Kontakten schützen kann, bewährt. Dieses Bewusstsein ist schon noch in den Köpfen. Allerdings ist das Flugzeug auch zu einem echten Wettbewerber geworden – trotz gestiegener Steuer für Flugtickets. Die Erwartung, die einige im Zuge der Pandemie hatten, dass sich die Reiselust auch nach Corona insgesamt spürbar abschwächt, kann ich aber nicht bestätigen. Die Menschen wollen unterwegs sein.
Nun, ja – ich glaube, dass wir grundsätzlich wieder mehr in unsere Infrastruktur investieren müssen. Das gilt für alle Verkehrsweg: Es gibt Diskussionen, ob wir unsere Autobahnen noch brauchen. Wenn ich mir den Verkehr dort ansehe, sage ich klar „ja“. Wenn es um Alternativen zum Auto geht, ist es oft wie bei der Anbindung ans Kabelnetz – die letzten Meter sind die schwierigsten. Wenn jemand mit der Bahn anreist, muss er zum Beispiel auch vom Bahnhof zum Hotel kommen – das ist eine Frage der umliegenden Infrastruktur. Es geht aber auch um die Sanierung des Schienennetzes, die Erhöhung der Kapazitäten, gegebenenfalls auch den Neubau und eine Revitalisierung stillgelegter Gleise. Und schließlich geht es auch im Luftverkehr um eine effiziente Infrastruktur. Dazu zählt natürlich auch, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine größere Einbindung der digitalen Technologien zu schaffen.
Sicher – in Sachen der Bahn wäre es Italien mit seinem umfassenden Schienennetz, hinsichtlich der Fahrräder – um nochmal eine andere Mobilitäts-Alternative zu nennen – wären es sehr wahrscheinlich die Niederländer. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass die Erfolgreichsten – ganz gleich in welchem Bereich – selten nur nach links oder rechts schauen. Sie machen ihr eigenes Ding und folgen konsequent ihrem Plan. Darum sollten auch wir uns auf unsere Tugenden berufen und im Zweifel auch eigene Lösungen finden, anstatt zu hoffen, dass wir uns die Lösung unserer Probleme bei den anderen abschauen.
Und wir brauchen uns als Reiseland wahrlich nicht zu verstecken. Wir sollten uns auf unsere Stärken besinnen: Die bayerische Natur und Kulturlandschaft ist einfach schön, diesen Trumpf müssen wir nutzen. Schließlich kommen die Menschen nach Bayern, weil sie Bayern sehen wollen. Und das hat gute Gründe. Wir müssen diesen Schatz bewahren – auch, um unseren zukünftigen touristischen Erfolg zu sichern.
Genau darin. Die Gastwirte und Hoteliers müssen das Beste aus dem machen, was sie haben: Wir haben in diesem Jahr beispielsweise auch in Kooperation mit dem DEHOGA Bayern den Bayerischen Tourismuspreis verliehen. Einer der Preisträger ist ein Hotel im bayerischen Wald. Das ist wahrlich kein Hotspot: Sie haben keinen Strand und keinen See. Aber sie haben einen Wald und den nutzen sie als ausgesprochenen Selling Point. Das führt zu einer Auslastung von über 90 Prozent. Dort wird nicht versucht, etwas künstlich herbeizuzaubern, was nicht ist. Sie machen aus dem das Beste, was sie haben. Das hat für mich echten Vorbildcharakter und ist sicher auch ein Modell für andere Regionen.
Ganz klar in der Infrastruktur. Und das auf mehreren Ebenen: Wenn man im Tourismus auf der einen Seite investiert, dann muss man die gesamte Wertschöpfungskette mitdenken. Das beginnt bei den Parkplätzen und geht über die Straßen bis hin zur Verkehrsanbindung. Auch in Sachen der Bewirtschaftung unserer Infrastruktur sind wir im internationalen Vergleich weit hinten. In Italien gibt es mit Telepass ein Unternehmen, das ursprünglich für die Maut zuständig war und heute der größte Parkplatzbetreiber ist. Mit einer Maut-Box, die die Kunden kaufen können, können sie in nahezu jedes Parkhaus fahren, Brücken und Mautstraßen können benutzt, die Parkplätze im Skigebiet bezahlt und sogar Skipässe erworben werden – alles wird automatisch abgerechnet. Dort wurde erkannt, dass man dieses Mobilitätsthema gesamtheitlich denken muss und dass die Infrastruktur nicht nur aus dem Verkehrsweg selbst besteht, sondern dass dieser auch bis zu Ende gedacht sein muss. In Deutschland sind für eine Strecke von einigen Kilometern manchmal drei verschiedene Tickets nötig – hier von „Potenzial“ zu sprechen, ist schon deutlich untertrieben.
Alles andere als das. Wir verstehen uns seit unserem Bestehen als unabhängige Verbraucherschützer im wahrsten Wortsinn. In unserer Satzung von 1903 sind die Aufgaben des ADAC folgendermaßen zusammengefasst: Motorsport, Pannenhilfe und Tourismus. Damals war Autofahren ja noch ein Abenteuer. Dadurch haben wir auch dabei geholfen, gewisse Bereiche für den Tourismus zu erschließen. Nach dem Motto „Wenn Du stehen bleibst, holen wir Dich da auch wieder raus“ – sowohl daran als auch an unserer Expertise für die notwendigen touristischen Rahmenbedingungen hat sich seit 120 Jahren nichts geändert.