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n seiner Funktion als Bayerischer Staatsminister für Europaangelegenheiten und Internationales ist Eric Beißwenger oberster Repräsentant des Freistaats in Brüssel. Im Gespräch mit DEHOGA Bayern-Landesgeschäftsführer Dr. Thomas Geppert gibt er einen Einblick in die Wechselwirkungen zwischen der EU und Bayern und hebt hervor, an welchen Stellen Bayern von der EU, aber auch die Europäische Union von Bayern profitiert.
Ich bin quasi Bayerns Chef-Lobbyist, vertrete Bayerns Interessen in der EU und in anderen Ländern. Dazu gehören zahlreiche Gespräche mit EU-Vertretern und -Abgeordneten sowie mit Vertretern unseres konsularischen Korps – Bayern hat die meisten Konsulate und Generalkonsulate in ganz Deutschland. Dazu gehören aber auch Auslandsreisen. Ich bin oft in Brüssel, wo ich in unserer Bayerischen Vertretung mein zweites Büro habe. Aber ich treffe mich selbstverständlich auch mit vielen Institutionen und Organisationen aus Bayern, die mir ihre Anliegen zu europäischen Themen darlegen. Also: Langweilig wird mir nicht.
Diese Europäische Union entstand aus alten, lang gehegten Feindschaften. Sie ist ein überaus erfolgreiches Friedensprojekt. Das ist bei uns leider lange Zeit vergessen worden, weil der Frieden für uns alle, die nach 1945 geboren wurden, zur Normalität, fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden war. Diese alten Gewissheiten wurden jetzt durch den Angriff Russlands auf die Ukraine tief erschüttert. Umso mehr ist uns jetzt auch wieder bewusst geworden, dass die EU auch eine Werteunion von Frieden, Freiheit und Demokratie ist. Entscheidend ist aber auch, dass die EU die Möglichkeit bietet, Probleme zu lösen und Themen zu regeln, bei denen einzelstaatliche Lösungen und Regelungen nicht weit führen, beispielsweise beim Klima- und Umweltschutz oder der Migration. Und eines betone ich auch immer wieder: Bayern allein wäre – die Betonung liegt auf dem Konjunktiv – die sechstgrößte Volkswirtschaft in der EU. Über 50 Prozent unserer Exporte gehen ins europäische Ausland. Neun unserer zwölf wichtigsten Handelspartner sind EU-Länder. Also: Bayern braucht die EU, aber die EU braucht auch Bayern.
Die Ampel-Regierung muss hier endlich tätig werden. Das Arbeitszeitgesetz muss flexibilisiert werden, um in der Realität der modernen Arbeitswelt anzukommen. Die starre Begrenzung der Tagesarbeitszeit stellt auch eine Hürde bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dar. Das Europäische Recht legt eine Wochenhöchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Stunden fest und gerade keine tägliche Höchstarbeitsgrenze. Diesen Spielraum sollten wir nutzen. Die Beschäftigten sollen auf Wunsch nicht mehr, sondern nur flexibler arbeiten können. Für bestimmte Berufe, die körperlich weniger anstrengend sind, zum Beispiel Bürotätigkeiten, wäre eine Arbeitszeit von mehr als 10 Stunden pro Tag denkbar. Selbstverständlich muss der Gesundheitsschutz der Beschäftigten stets gewährleistet sein. Denn niemandem ist mit arbeitsbedingten Ausfällen durch Überlastung gedient. Der Bund ist gefordert, schnell seine Gesetzgebungskompetenz zu nutzen, um flexiblere Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen.
Der Zuzug von Fach- und Arbeitskräften innerhalb der EU ist bereits jetzt unproblematisch möglich. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung in Deutschland aufhalten wollen, können mühelos einreisen und bleiben. Wer noch arbeitssuchend ist, kann sich ein halbes Jahr zur Jobsuche in Deutschland aufhalten. Auch für Drittstaatsangehörige gibt es bereits umfangreiche Erleichterungen sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene. Auf europäischer Ebene wurden verschiedene Richtlinien neu gefasst und überarbeitet, beispielsweise die Richtlinie für unternehmensinterne Transfers von Mitarbeitern sowie die Blue-Card Richtlinie. Diese schafft neue Möglichkeiten der legalen Migration unter anderem durch die Herabsetzung einiger Antragsvoraussetzungen wie Gehaltsschwellen. Der nationale Rechtsrahmen der Fachkräfteeinwanderung wurde ebenfalls erweitert und beleuchtet die drei Säulen: Fachkräfte, Erfahrung und Potenzial. Neuerungen gibt es insbesondere im Bereich Erfahrung und Potenzial. Hervorzuheben ist die nun ermöglichte Einwanderung von Fachkräften auch ohne vorherige formelle Anerkennung des Berufsabschlusses bei entsprechender Erfahrung in allen nicht reglementierten Berufen und die Chancenkarte zur Arbeitssuche für Menschen mit besonderem Potenzial. Seit jeher setzt sich auch Bayern stark für die vereinfachte Fachkräftezuwanderung ein. Hervorzuheben ist die Zentrale Stelle für die Einwanderung von Fachkräften (ZSEF) als serviceorientierte Ansprechpartnerin für die bayerische Wirtschaft. Hier können sich alle Beteiligten beraten lassen und erhalten das beschleunigte Fachkräfteverfahren aus einer Hand. Der Freistaat bietet ebenfalls eine kompetente Anlaufstelle für Fragen rund um die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen mit einer serviceorientierten Unterstützung in der Koordinierungs- und Beratungsstelle Berufsanerkennung (KuBB) bei der Regierung von Mittelfranken in Nürnberg an. Wenn eine ausländische Fachkraft in Bayern arbeiten möchte, ist eine effiziente Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikation wichtig. Damit Anerkennungssuchende möglichst schnell zu der zuständigen Anerkennungsstelle finden, ist gute Beratung essenziell.
Zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Gastronomie- und Tourismusbranche im Verhältnis zu den angrenzenden europäischen Nachbarländern fordert Bayern die dauerhafte Wiedereinführung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Restaurant- und Verpflegungsleistungen. Zur Unterstützung der getränkegeprägten Gastronomie muss auch eine Ausweitung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf die Abgabe von Getränken erfolgen. Diese Forderungen hat Bayern auch mit einer Bundesratsinitiative Anfang März dieses Jahres beim Bund eingebracht.
Die Entscheidung, ob Leitungswasser kostenlos angeboten wird, sollte den Gastronomen überlassen bleiben. Sie sollten die Freiheit haben, ihre Preise und Angebote nach eigenem Ermessen festzulegen.
Das Rauchverbot in Innenräumen hat absolut seine Berechtigung. Hier steht der Gesundheitsschutz im Vordergrund. Im Außenbereich haben wir eine andere Situation. Ein europaweites Rauchverbot in der Außengastronomie halte ich daher für zu weitgehend und bevormundend.
Leider setzt die Bundesregierung oft noch einen obendrauf und betreibt sogenanntes Gold-Plating. Bürokratische Vorgaben belasten das Gastgewerbe. Sie kosten Zeit und Geld. Die Bürokratielasten müssen abgebaut werden. Die vielen Berichts- und Nachweispflichten überfordern und entmutigen unsere Unternehmen. Bürokratieabbau und Deregulierung sind der Staatsregierung aber vor allem auch mir persönlich ein besonderes Anliegen. Bayern setzt sich dafür ein, dass Hürden und Formalien abgebaut und nicht zusätzlich geschaffen werden.
Das Ausfüllen von Meldescheinen für jeden einzelnen Gast erfordert Zeit und Ressourcen. Ich kann deswegen gut nachvollziehen, dass die Beherbergungsbetriebe hier jede Erleichterung begrüßen. Von der Polizei wurden die Meldescheine auch bei deutschen Staatsangehörigen als wertvolles Ermittlungsinstrument geschätzt. Für ausländische Gäste gelten völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands aus Artikel 45 des Schengener Durchführungsübereinkommens, die einer Abschaffung der Hotelmeldepflicht für ausländische Gäste entgegenstehen.
Mehr als ein Drittel aller neu vom Bundestag beschlossenen Gesetze haben ihren Ursprung im EU-Recht. In den Bereichen Landwirtschaft, Wirtschaft, Umwelt sind es sogar mehr als die Hälfte.
Die Bayerische Staatsregierung steht über ihre Repräsentanz in Brüssel in ständigem Kontakt und regelmäßigem Austausch mit den EU-Institutionen. Bayerische Ministerinnen und Minister reisen regelmäßig nach Brüssel, um im persönlichen Gespräch mit den Verantwortlichen vor Ort wichtige bayerische Anliegen zu adressieren. Dazu gehören selbstverständlich auch die Anliegen unser Hotel- und Gaststättenbetriebe. Darüber hinaus bietet die bayerische Vertretung eine Plattform für bayerische Unternehmen und Betriebe, um durch gezielte Veranstaltungen besonders wichtige Themen auf europäischer Ebene in den Fokus zu rücken.
Ich bin für ein Europa, das die großen gemeinsamen Aufgaben löst und die Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten und Regionen achtet – Stichwort Subsidiarität. Das ist das Fundament eines funktionierenden Europas.
Ich befürchte, die EU-Skepsis hat schon zugenommen. Sie wird aber auch bewusst von extremen Parteien geschürt, die daraus Profit schlagen wollen. Die großen Errungenschaften wie die grenzenlose Reisefreiheit, die einheitliche Währung oder das EU-Roaming sind heute Selbstverständlichkeit. Das waren Themen von persönlicher Relevanz, von denen jeder profitiert hat. Ich habe es eingangs schon gesagt: Die EU braucht uns, aber wir brauchen unbedingt auch die EU. Ein Dexit, also ein Austritt Deutschlands aus der EU, wie von der AfD gefordert, käme einem politischen und vor allem wirtschaftlichen Selbstmord gleich. Die Europawahl am 9. Juni eignet sich deshalb nicht als Protest- oder Denkzettelwahl. Kaum ein Land profitiert so sehr von der EU wie Deutschland. Wir müssen aller[1]dings wieder stärker das Subsidiaritätsprinzip zur Geltung bringen: Gemeinschaftliche Regelungen überall da, wo sie sinnvoll sind, wo sie einen Mehrwert erzeugen, alles andere, das sich besser vor Ort regeln lässt, sollte auch vor Ort geregelt werden.
Nach seinem Abitur absolvierte Eric Beißwenger sowohl eine Ausbildung zum Bankkaufmann als auch eine Berufsausbildung zum Landwirt, später wurde er Bio-Bauer. Seine politische Tätigkeit begann er 2008 als zunächst parteiloses Mitglied im Gemeinderat in Bad Hindelang. Nach seinem Eintritt in die CSU war er unter anderem als Ortsvorsitzender der CSU Bad Hindelang sowie als Kreisvorsitzender der Mittelstands-Union Oberallgäu-Lindau tätig. Erstmals in den Landtag gewählt im Jahr 2013, ist Beißwenger seit 2014 Mitglied des Kreistages im Landkreis Oberallgäu, seit 2017 als Kreisvorsitzender der CSU Oberallgäu. 2021 wurde er Bezirksvorsitzender der Mittelstands-Union Schwaben. Neben seinen politischen Ämtern engagiert sich Beißwenger auch in zahlreichen Organisationen und Institutionen. So ist er unter anderem Mitglied im Alpwirtschaftlichen Verein, dem Bayerischen Bauernverband, dem Westallgäuer Baumverein, dem Allgäuer Schafhalterverband, der Forstbetriebsgemeinschaft sowie dem Bayerischen Jagdverband. Seit November 2022 ist Beißwenger Präsident der Arbeitsgemeinschaft Bayerische Bergbauern. Am 8. November 2023 ernannte ihn Ministerpräsident Dr. Markus Söder zum Staatsminister für Europaangelegenheiten und Internationales.