Lieber Sebastian, Ihr beginnt jedes Konzert mit einem Ritual: Ihr steht – Hacken zusammen, Fußspitzen nach außen – im Kreis und geht ins Plié, bis sich alle über die Knie verbinden. Was für eine Bedeutung hat dieses Ritual für Dich und hängt damit auch der Titel des neuen Albums zusammen?
Wie jedes Ritual hat es nach ein, zwei Jahren eine unglaubliche Kraft entwickelt und ich habe das Gefühl, dass es ohne nicht mehr geht. Was natürlich Quatsch ist, aber ich genieße die Ruhe und Verbundenheit, bevor wir die Bühne betreten. Daraus hat sich dann auch der Titel des Albums ergeben. Denn es handelt sich zwar um ein sogenanntes Studio-Album, aber es ist eigentlich alles live eingespielt worden: Die einzelnen Instrumente und Gesangsstimmen wurden nicht einzeln aufgenommen, sondern die ganze Band hat im Studio gespielt.
In vielen Eurer Lieder – so scheint es – geht es um Vergänglichkeit, das Schwere und Düstere. Krieg, Krise, Corona. Inwiefern ist das neue Album vom aktuellen Weltgeschehen inspiriert?
Sehr. Besonders, da es sich ja über einen Schaffenszeitraum von vier Jahren erstreckt hat. Da ist auf unserer wundervollen Erde ja ziemlich viel Gruseliges passiert. Zum Beispiel „A Zetterl in der Joppen drin ...“, dieser eingenähte SOS-Hilferuf einer Arbeiterin, der durch die Presse und die Sozialen Medien ging. Da geht es um die unsäglichen Zustände in den sogenannten Sweatshops, den Ausbeutungsbetrieben in der Textilindustrie, wo unsere billigen Klamotten hergestellt werden. Und dann die nach wie vor dramatische Flüchtlingssituation im Mittelmeer: “Moing schaut de Wejd scho wieder ganz anders aus, sogt sie und schlupft mit ihrem Kind aus der Schwimmweste raus“. Was da gemeint ist, ist wohl klar. Rien ne va plus.
Das klingt alles erst einmal ziemlich negativ. Soll das Album auch Mut machen?
„Sollen“ tut es erst mal gar nichts. Aber ich bin mir sicher, dass unter den vielen Emotionen, die beim Hören entstehen, auch Mut machende dabei sind.
Selbstverständlich wurde und wird auch das bayerische Gastgewerbe durch die Krisen dieser Welt erschüttert. Was bedeutet die Branche für Dich und was macht für Dich das Gefühl im Wirtshaus aus?
Da könnte ich einen ganzen Aufsatz drüber schreiben. In meinem Dorf gab es früher drei Wirtschaften, alle mehr oder weniger gut besucht und wichtiger Bestandteil des örtlichen Lebens. Jetzt sind sie im Zuge des Fernsehens und Internets weg. Die Menschen bleiben zu Hause und lassen sich berieseln. Ich selbst bin ja auf Tour sehr angewiesen auf Gaststätten, sowohl kulinarisch als auch vom Übernachten her. Da gibt es solche und solche. Aber man spürt, dass die, die sich durchsetzen, mit Herzblut geführt sind und ein großes Augenmerk auf die Regionalität ihrer Produkte legen. Kleine Werbung: Der Burggasthof in Neurandsberg ist ein Ideal-Beispiel für so ein Gasthaus mit Kulturbetrieb und phantastischer Küche.
Was wünscht Du dir selbst von Bayerns Gastgebern beziehungsweise insbesondere den Gaststätten?
Kulinarisch wäre schön, wenn sich mehr vegetarische Gerichte einbürgern würden, ansonsten bin ich meistens eh glücklich.
Was bedeutet für Dich das Gefühl von Heimat?
Für mich als Lenggrieser ist Heimat eindeutig das Voralpenland. Und das zieht sich ja ziemlich in die Länge. Ansonsten ist es tatsächlich die Nähe meiner Familie.
Viele Lieder scheinen auch von der Natur inspiriert, vom Wetter und den Jahreszeiten. Du bist studierter Biologe und ein großer Freund vom Wald. Unser Magazin beschäftigt sich dieses Mal intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit. Inwiefern ist Dir das Thema wichtig?
In allen Bereichen meines Lebens spielt das eine große Rolle. Ich kauf mir kaum Dinge zum Anziehen und wenn dann Öko/Bio/ Fairtrade. Und die Sachen trage ich dann, bis sie nicht mehr reparierbar sind. Genauso mit unseren Autos. Die sind beide schon sehr betagt, aber fahren tu ich sie, bis sie kaputt sind. Ein Beispiel für sehr gute Nachhaltigkeit ist die Firma Waldviertler aus Österreich, die stellen Schuhe und vieles mehr her und achten wirklich auf den Fußabdruck, den sie hinterlassen.
Man spürt in Deinen Liedern, wie intensiv, ehrlich, zugleich düster, aber auch zuversichtlich Du die Welt wahrnimmst. Was gibt Dir Hoffnung?
Unsere Kinder. Und besonders wichtig ist, Ihnen zu vertrauen und gleichzeitig mit gutem Beispiel voran zu gehen. Und nie vergessen, was man selbst so als Kind und Jugendlicher angestellt hat.
ÜBER DREIVIERTELBLUT
Die bayerische Band Dreiviertelblut besteht aus Gerd Baumann (Bild rechts, Gitarre, Gesang), Sebastian Horn (Bild links, Gesang), Dominik Glöbl (Flügelhorn, Trompete, Gesang), Florian Riedl (Klarinette, Bass-Klarinette, Moog), Flurin Mück (Schlagzeug), Luke Cyrus Goetze (Gitarre, Lapsteel, Dobro) und Benny Schäfer (Kontrabass). Musikalisch und in Worten durchstreifen sie die Höhen und Tiefen des Seins, fliegen vom reinsten (Liebes-)Glück in die schwärzeste Verzweiflung. Dem Dunkel folgt aber stets ein Lächeln. Und weil die Liebe zur Finsternis in diesem kruden, bayerischen Humor daherkommt, zeigt sie sich zutiefst menschlich, in einer zeitlosen Schönheit und einer berührenden Poesie. Dreiviertelblut schaut sehr genau hin und singt meist auf bayerisch, mal auch auf englisch, aber immer mit einer bayerischen Seele.
Die Fragen stellte Karolina Wojdyla