ERR CAMINADA, VERGANGENES JAHR HABEN SIE EIN NEUES KOCHBUCH MIT DEM TITEL „PURE FREUDE“ VERÖFFENTLICHT. ES GEHT UM BODENSTÄNDIGE KÜCHE. WORAUF LEGEN SIE ALS SPITZENKOCH BEI EINFACHER, BODENSTÄNDIGER KÜCHE WERT?
Für mich stehen die Produkte im Vordergrund. Wir sind sehr regional fokussiert und kaufen gerne bei Bauern und Produzenten der Region ein, wo man weiß, dass nichts gespritzt ist und die Produkte hochwertig angebaut und hergestellt wurden. Im Kaufhaus kaufen wir Bio-Produkte. Wichtig ist, dass die Produkte von hoher Qualität sind. Darauf sollte man Wert legen.
DIESES JAHR WIRD MIT „IGNIV – WE LOVE TO SHARE“ EIN BUCH, MIT GERICHTEN ZUM TEILEN ERSCHEINEN. MAN SAGT, DASS SICH GLÜCK VERDOPPELT, WENN MAN ES TEILT. WELCHEN EFFEKT ERHOFFEN SIE SICH FÜR IHRE LESER VOM GEMEINSAMEN GENIESSEN?
Wir haben uns das IGNIV-Konzept ausgedacht, um ein neues Esserlebnis im Fine Dining einzuführen. IGNIV heisst «Nest» in meiner Muttersprache rätoromanisch und unsere Gourmetnester gibt es mittlerweile in Ragaz, St. Moritz, Zürich und Bangkok. In den Restaurants wird das Thema „Sharing“ großgeschrieben. Diesen Ansatz des Teilens wollten wir auch in meinem aktuellen Buch thematisieren. Es sind eigentlich zwei Bücher in einem. Es wird zum einen das Sharing-Konzept erläutert, wie wir es im Restaurant praktizieren. Zum anderen soll der Leser dieses Konzept anschließend auch selbst zuhause umsetzten können. Es entsteht einfach eine andere Optik und eine andere Dynamik, wenn man alles auf einem Tisch hat und teilt. Es entwickelt sich ein anderes Leben beim Speisen.
IHNEN SIND JUNGE NACHWUCHSTALENTE UND DEREN FÖRDERUNG SEHR WICHTIG. SIE FÖRDERN DIESE AUCH SELBST. WAS IST IHR RAT AN DIE TALENTE, DIE SICH IN DIESEN SCHWIERIGEN ZEITEN ÜBERLEGEN, IN DIE BRANCHE EINZUSTEIGEN?
Die Gastronomie bietet so viele Chancen und Möglichkeiten. Ich kann nur jedem empfehlen, egal in welchen Bereich, einzusteigen. Man kann die Welt sehen und bereisen. Das wird langfristig ganz bestimmt bald wieder möglich sein und bietet tolle Erfahrungen für die eigene Karriere. Überall werden gute Leute gesucht. In der Branche gibt es ein großes Netzwerk. Immer wieder entstehen Freundschaften, die um die ganze Welt reichen. Mit unserer Nachwuchsplattform „Fundaziun Uccelin“, die wir ins Leben gerufen haben, wollen wir jungen Leuten eine Perspektive und Weiterbildungsmöglichkeiten geben. Es ist eine unabhängige Stiftung. Wir wollen Leuten, nicht älter als 35 und mit mindestens 5 Jahren Erfahrung, die Möglichkeit geben, bei den Besten der Branche zu lernen und ihre Fähigkeiten auszubauen. Wir planen diese Reisen und fördern auch in finanzieller Hinsicht.
HABEN SIE DREI WICHTIGE RATSCHLÄGE, DIE SIE JUNGEN KOLLEGEN MIT AUF DEN WEG GEBEN KÖNNEN?
Natürlich braucht es Leidenschaft für den Beruf. Als Zweites Kontinuität: Man sollte sich gute Betriebe aussuchen und dort auch rund zwei Jahre bleiben. Um effektiv etwas zu lernen und etwas mitnehmen zu können, braucht es seine Zeit. Man sollte immer den ganzen Betrieb kennenlernen, nicht nur die Rezepte. Drittens rate ich immer dazu, ein Ziel vor Augen zu haben, das man anstreben und verfolgen kann.
AUF WELCHE ZUTAT KÖNNEN SIE FAST NIE VERZICHTEN UND WARUM?
Das sind am ehesten Basis-Zutaten, beispielsweise Zwiebeln. Eine Zwiebel ist facettenreich und kann je nach Zubereitungsart viel Unterschiedliches bewirken. Ich lege Wert auf einfache, aber grundlegende Produkte, wie Tomaten, Sellerie, Lauch oder Karotten, die bereits viel Charakter und Geschmack bringen. Wenn ich mich also entscheiden müsste, dann würde ich Tomaten oder Zwiebeln nennen, je nachdem was gekocht wird.
WELCHEN BEZUG HABEN SIE ZUR BAYERISCHEN KÜCHE?
Die Bayern haben eine eigene Geschmackswelt und eine sehr individuelle Küchensprache. Einmal im Jahr gehe ich mit Freunden auf das Oktoberfest. Knödel, Weißwurst, Brezn, da freut man sich immer drauf. Die bayerische Küche ist sehr geschmackvoll und der Schweizer Küche gar nicht so unähnlich. Das besondere Geschmackserlebnis verbindet man auf beiden Seiten auch immer mit der Region und der Kultur. Das finde ich schön und würde es nicht missen wollen.
WIE WICHTIG IST DAS KÜNSTLERISCHE ANRICHTEN EINES GERICHTS FÜR EINEN RUNDUM GELUNGENEN GENUSS?
Man sollte eine klare Linie entwickeln, um einen Wiedererkennungswert in die visuelle Darbietung zu bekommen. Wichtig ist, dass man das nicht einfach kopiert und schaut wie es die anderen machen, sondern wirklich eine eigene Handschrift entwickelt. Eine eigene Identität ist schon sehr wichtig.
IN IHREM ATELIER CAMINADA KREIEREN SIE WÖCHENTLICHE VIDEO REZEPT-CLIPS. INWIEFERN IST KOCHEN FÜR SIE AUCH KUNST?
Dort geht es um Hausmannskost und darum, dem Zuschauer die Alltagsküche beizubringen und sie zu zelebrieren. Bei unserem 3-Sterne-Restaurant geht es schon eher darum, den Leuten ein Erlebnis zu bieten. Für mich ist Kunst aber Kunst und wir sind für mich Handwerker, man könnte noch am ehesten Handwerkskunst sagen. Wir sind Dienstleister und wir sind die Gastronomie. Wir sind stolz auf das was wir tun und wollen das so gut wie möglich tun. Unseren Gästen wollen wir ein Erlebnis bieten. Im Zentrum steht bei uns das Gastgeber sein.
SIE WURDEN IN DEN VERGANGENEN ZEHN JAHREN MIT AUSZEICHNUNGEN REGELRECHT ÜBERHÄUFT. WENN MAN STETIG AUF SPITZENNIVEAU KOCHT, HAT MAN DANN GRÖSSEREN RESPEKT DAVOR, ZU FALLEN?
Ich bin ein bodenständiger Mensch und bilde mir darauf nicht allzu viel ein. Ich freue mich über jede Auszeichnung, sie sind Wertschätzung für die tägliche Arbeit. Aber was wir tun, ist kein Einzelsport. Wir haben ganze Teams an unserer Seite und es ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Deswegen ist es wichtig, dass man die Mitarbeiter unterstützt und sich um sie kümmert. Nur mit den entsprechenden Mitarbeitern kann dieses Niveau tagtäglich umgesetzt werden. Außerdem müssen die Freude und die Leidenschaft an vorderster Stelle stehen. Nur dann kann man diese Höchstleistungen bringen. Solange ich weiß, dass wir unsere ganze Energie und Leidenschaft einsetzen, mache ich mir keine Sorgen.
WIE MEISTERN SIE DIE CORONA-KRISE? MIT WELCHEN HERAUSFORDERUNGEN HABEN SIE ZU KÄMPFEN?
Wir haben den ganzen letzten Sommer mit Schutzmaske und einem effektiven Schutzkonzept gearbeitet, das wurde von den Gästen sehr wertgeschätzt. Der Sommer lief stark und auch Herbst und Winter waren gut. Natürlich war das kein Normalbetrieb. Aber Wir haben das letzte Jahr eigentlich gut überstanden. Jetzt haben wir nach dem letzten Lockdown wieder aufgesperrt. Die Mittage sind noch zu, aber wenigstens abends ist offen. Es geht hierbei um Schadensbegrenzung, aber wir sind gut ausgelastet. Wir freuen uns, wenn wieder Lockerungen kommen und werden dann erneut professionell mit den Sicherheitskonzepten arbeiten. Unsere Gäste können genießen und wir machen unseren Job.
NEHMEN SIE DIE CORONA-SITUATION FÜR DAS GASTGEWERBE IN DEUTSCHLAND ANDERS WAHR ALS IN DER SCHWEIZ?
In Deutschland war die komplette Schließung der Gastronomie länger und konsequenter. In der Schweiz hat man immer versucht, das Gastgewerbe offen zu lassen.
WAS ERHOFFEN SIE SICH VON 2021?
Jetzt kommen Impfungen und der Frühling. Ich hoffe, dass die Leute sich dann wieder freuen, ins Restaurant gehen zu können und was zu erleben. Ich glaube, Restaurantbesuche gehören zum schönen Leben dazu. Die Leute haben, glaube ich, genügend zu Hause gekocht, was ja auch schön ist und was man auch wieder wertgeschätzt hat, aber man freut sich jetzt auch wieder rauszugehen und in guten Restaurants zu speisen, Leute zu sehen und die Atmosphäre zu erleben. Ich denke, dass die Leute auch wieder mehr reisen und dies sehr schätzen werden. Dabei hoffe ich aber, dass auch weiterhin ab und an Urlaub in der Heimat gemacht wird.
ZUR PERSON:
Andreas Caminada wuchs im bündnerischen Sagogn auf. Nach Abschluss seiner Kochlehre 1996 arbeitete er bis März 1998 in mehreren Betrieben als Pâtissier, Chef Entremetier und als Chef Tournant. Ab Juni 1998 war Caminada in verschiedenen Spitzenrestaurants in der Schweiz und im benachbarten Ausland tätig, unter anderem als Pâtissier und Tournant im Hotel Walserhof in Klosters, als Chef Tournant im Restaurant Bareiss in Baiersbronn und als Küchenchef in der Wirtschaft zum Wiesengrund in Uetikon am See. Seit 2003 ist er Pächter und Chef de Cuisine im Schloss Schauenstein in Fürstenau. Das 3-Sterne-Restaurant ist seit 2011 ununterbrochen auf der „The World‘s 50 Best Restaurants“-Liste platziert und und wurde 2019 mit dem Sustainability Award für besondere Nachhaltigkeit ausgezeichnet. 2015 gründete er die Stiftung „Fundaziun Uccelin“ (www. uccelin.com). Deren Zweck ist es, junge Koch- und Servicetalente in ihrem Handwerk zu fördern. Der verheiratete Familienvater hat zwei Söhne und ist in seiner Freizeit passionierter Golfer.