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bwohl sich in Deutschland ein Trinkgeld zwischen 5 und 10 Prozent als sozialer Code eingebürgert hat, ist das Aufrunden der Rechnung keine Verpflichtung, sondern bleibt eine freiwillige Leistung. Das ist das Schöne, weil es einem die Freiheit gibt, sich von seiner großzügigen Seite zu zeigen und anderen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.
Denen, die uns eine gute Zeit gemacht haben. Selbst dann, wenn nicht alles perfekt ist. Kommt mein Schnitzel mal nicht im Schweinsgalopp, erinnere ich mich, dass jeder tut, was er kann. Bleibt mein Glas trocken, genieße ich das seltene Glück, einmal kurz von der Welt vergessen worden zu sein. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, beim Trinkgeld.
Ein Freund von mir ist Deutscher, verhält sich aber wie ein Schotte: „Das macht 21,90 Euro, bitte.“ „22, stimmt so, danke.“
Ein echter Cent-Fuchser. Immer einen Igel in der Tasche. Ich mag ihn trotzdem. Die Kellnerin im Café Einstein wohl eher nicht, sie ließ es sich aber nicht anmerken. Man soll sich ja nicht selbst loben, aber ich tue es trotzdem. Ich selbst gebe gutes Trinkgeld. Auch diesmal. Ich weiß, dass es bei den Richtigen ankommt und bleibe gerne in guter Erinnerung. Vielleicht, weil ich früher selbst gekellnert habe. Großzügigkeit sieht gut aus, Kleinzügigkeit kleidet wie ein Anzug von Donald Trump.
Bleibt also nur den Ärger hinunterschlucken? Die Faust in der Tasche machen und sich kopfschüttelnd darüber freuen, dass man selbst nicht mit Igeln in der Tasche geplagt ist? Ich jedenfalls freue mich tatsächlich darüber, Geiz nicht geil zu finden und Menschen eine Freude zu machen, die mir eine bereitet haben. Wem das nicht reicht, wer auf „Wie-Du-mir-so-ich-Dir“ sinnt, dem empfehle ich, die empfundene Herabwürdigung nicht mit gleicher, sondern mit charmanter Münze heimzuzahlen. So wie die Kellnerin im Café Einstein meinem schottischen Freund. Als wir gehen wollten, kam sie uns hinterher gelaufen und sagte freundlich:
„Entschuldigung, Sie haben noch etwas vergessen.“
Dann drückte sie meinem verdutzten Freund 20 Cent in die Hand. Der war verdutzt und verließ irritiert das Restaurant, ich schmunzelnd neben ihm. Wir gingen bestimmt fünf Minuten nebeneinander her, ohne miteinander zu sprechen. Es arbeitete in seinem Kopf, das spürte ich. Vielleicht hat ja die charmante Unverschämtheit unserer Bedienung etwas in ihm ausgelöst. Ich war gespannt. Er drehte sich zu mir und sagte:
„Du, Moritz, wir müssen noch mal zurück ins Einstein: Die Kellnerin hat nicht mitbekommen, dass ich ihr Trinkgeld gegeben habe und dann hat sie sich auch noch verrechnet: Ich hatte ihr nur 10 Cent gegeben, nicht 20.“
Ich war fassungslos. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt, dachte ich. Und dann musste ich laut lachen, klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter und sagte:
„Weißt Du was? Gib ihr doch beim nächsten Mal einfach 30 Cent Trinkgeld.“ „Das ist eine sehr gute Idee, Moritz.“
Und ich dachte: au Backe.