IEBER STEPHAN, DIE FAZ BESCHREIBT DICH ALS „VERKÖRPERUNG EINER NEUEN GENERATION VON BARLEUTEN“. WAS ZEICHNET DIESE NEUE BARKEEPER-GENERATION AUS?
Es ist natürlich schwer, für eine ganze Generation zu sprechen. Aber generell würde ich sagen, dass in der Barbranche die Identifikation mit dem Beruf sehr stark zugenommen hat. In der gehobenen Bar braucht man heute ein viel umfassenderes Wissen, was Produkte und Techniken betrifft. Bar und Küche sind sich heute viel näher als noch vor zehn Jahren.
DU BIST SELBST BARBESITZER UND AUCH UNTERNEHMENSBERATER FÜR DIE GASTRONOMIE. WELCHE EIGENSCHAFTEN UND WELCHE AUSSTATTUNG MUSS EINE INNOVATIVE BAR HEUTZUTAGE MITBRINGEN?
Um Innovatives zu schaffen, müssen erstmal die Grundlagen stimmen. Eine gut geplante Bar mit durchdachter Ergonomie und das Handwerk des Personals sind die Basis. Danach hängt die Innovation von der eigenen Kreativität ab. Man braucht nicht unbedingt ein komplett ausgestattetes Barlabor, wie wir es im Little Link haben. Natürlich vergrößert das unsere Möglichkeiten, aber grundsätzlich lassen sich mit interessanten Zutatenkombinationen und einem gut ausgebildeten Geschmacksverständnis überall Innovationen schaffen.
WORAUF SOLLTE MAN BEIM EINKAUF DER ZUTATEN FÜR DIE BAR UNBEDINGT ACHTEN?
Neben offensichtlichen Faktoren wie Frische, Qualität und Lagerung sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man Verschwendung reduzieren kann. Dazu gibt es in der modernen Bar durchaus Möglichkeiten. Nehmen wir ein einfaches Produkt wie die Zitrone: Nicht nur der Saft lässt sich nutzen. Die Schale eignet sich für Garnituren, für Infusionen oder für Oleo Saccharum und das Mesokarp kann man als Bitterstoffquelle und Texturgeber weiterverarbeiten. Auch durch eine Fokussierung des Sortiments lässt sich Verschwendung reduzieren – lieber saisonale Abwechslung bieten, anstatt immer alles gleichzeitig vorrätig zu halten.
BRAUCHT EIN COCKTAIL ZWINGEND EINEN DEKORATIVEN TWIST? WELCHE TRICKS UND TIPPS HAST DU HIER FÜR DEN ZUSÄTZLICHEN VISUELLEN GENUSS?
Die Garnitur muss zum Drink passen. In einem Klassiker erwarte ich auch eine klassische Garnitur. Bei moderneren Drinks sind die Möglichkeiten dagegen vielfältig. Getrocknete Blüten oder gedörrte Früchte lassen sich hervorragend zermahlen und dienen als aromatischer Staub zur Dekoration von Glasrändern. Generell ist Dörren eine interessante Technik, da sie viele Garnituren länger haltbar macht. Dabei sollten die Garnituren nicht nur einen optischen Effekt haben, sondern den Drink immer durch Geschmack oder Geruch bereichern. Interessante Ergebnisse lassen sich auch durch das Aromatisieren der Gläser von außen erreichen. Wenn ich zum Beispiel den Fuß eines Glases mit Zitrusölen besprühe, bleibt der Duft an der Hand des Gastes haften und umgibt ihn, während er den Drink genießt. Auch das verändert das Genusserlebnis.
MIT WELCHEN DER DREI APERITIFS MIXT DU DERZEIT AM LIEBSTEN UND WARUM?
Das kommt ganz auf den Anlass an. Als Sundowner mag ich die Kombination aus Kalyx und Tonic Water sehr gerne, zu einem sommerlichen Salat passt ein Spritz mit Ricordino ausgezeichnet und zum Grillen trinke ich gerne einen würzigen Longdrink mit Camela.
MIT WELCHEN KREATIONEN KANN DICH EINE COCKTAIL-KARTE BEGEISTERN ODER SOGAR NOCH ÜBERRASCHEN?
Die globale Barkultur entwickelt sich permanent weiter, insofern hoffe ich, dass ich noch einige Male von neuen Ideen überrascht werde. Was mich begeistert, sind aber vor allem guter Service und solides Handwerk. Es muss nicht immer etwas Neues sein.
ZUR PERSON:
Der international bekannte Barexperte Stephan Hinz gilt als Visionär der modernen Gastronomie. Hinz wurde vielfach preisgekrönt, darunter zuletzt als „Innovativster Bartender 2020/21“. Mit seinem Unternehmen Cocktailkunst begeisterte Hinz bei extravaganten Events prominente Gäste, eröffnete eine eigene Bar „Little Link“ in Köln, veröffentlichte Bücher, unter anderem „Cocktailkunst“ (Edition Fackelträger, 2014) und entwickelte mehrere Produkte für die Barszene. Mit „From Root to Fruit“ kommt seine erste eigene Spirituosenmarke auf den Markt. Weitere Informationen: www.rtfdistillers.com
WEB-VERANSTALTUNGEN MÜSSEN KEINESWEGS TROCKEN SEIN
VIRTUELLE COCKTAILSTUNDE MIT STEPHAN HINZ
Zahlreiche Gläser in den verschiedensten Formen, drei unverschämt schön gestaltete Spirituosenfläschchen, zwei erwartungsfrohe Testende, ein Laptop – alles steht bereit für eine kurzweilige Cocktailstunde mit Stephan Hinz. Wie es sich auch noch für das Jahr 2021 gehört, virtuell vor dem Bildschirm – doch das tut der Stimmung keinen Abbruch.
Ein gut gelaunter Stephan Hinz erwartet seine Gäste auch am Bildschirm standesgetreu hinter dem Tresen und ist genauso locker und herzlich wie bei einem persönlichen Zusammenkommen. Der Barexperte brennt für seine Leidenschaft. Mit großer Freude und ungeheurer Expertise spricht Hinz über Geschmack, Geruch, Kräuter und Gewürze und entführt in die Genusswelt von Camela, Ricordino und Kalyx. Unter dem Motto „Root to Fruit“ bringt der preisgekrönte Bartender diesen Sommer diese drei geheimnisvollen und die Neugier bereits im Namen entfachenden Spirituosen auf den Markt. Für die Sinnesreise von der Wurzel bis zur Frucht bedienen sich die drei Spirituosen an der ganzen Vielfalt pflanzlicher Zutaten, von Obst über Gemüse bis zu Kräutern und Gewürzen – 100 Prozent natürliche Zutaten, schonender Herstellungsprozess, ohne künstliche Zusatzstoffe, Allergene und Gluten. „Mit den Produkten von Root to Fruit soll diese Fülle an Rohstoffen mehr Menschen zugänglich werden. Jede unserer Spirituosen enthält eine komplexe Mischung natürlicher Zutaten, bei der verschiedene Pflanzen von der Wurzel bis zur Frucht kombiniert werden. An der richtigen Balance haben wir ein Jahr gearbeitet“, so Hinz. Der Aperitif Camela überrascht durch eine fruchtig-würzige Balance aus Granatapfel, Bitterorange, Safran und orientalischen Gewürzen. Ricordino ist eine Hommage an die mediterrane Lebensart und schmeckt unbeschwert wie ein Sommertag am Meer. Hier vermischen sich frische Zitrusnoten mit den Kräuternoten von Basilikum, Thymian und Rosmarin. Kalyx präsentiert sich als grazile Komposition aus Rose, Hibiskus, Himbeere und Verbene. Ein verführerischer Aperitif, der Schönheit und Eleganz zelebriert. Geschickt kitzelt Hinz in der Cocktailstunde über verschiedene Variationen – ob auf Eis, mit ausgepressten Orangenspalten, mit Rosmarin oder in Kombination mit Ginger Ale – auch die kleinsten Geschmacksregungen aus dem Gaumen. Wahrhaft ein Geschmackserlebnis und vor allem der orientalisch anmutende Camela offenbart sich als absoluter Allrounder, dessen Geschmack eine Offenbarung und nur schwierig in Vergleich zu bringen ist. Neben der Verkostung lässt sich Stephan Hinz so manches Geheimnis über das richtige Glas, die richtige Form des Crushed Eises und deren Kombination mit oder ohne einen Strohhalm entlocken, sodass das Herz eines jeden Amateur-Cocktail-Mischenden höherschlägt. Es ist eine sehr gelungene und kurzweilige Cocktailstunde mit herausragend guten Neuentdeckungen aus der Feder des 34-Jährigen.
Die selbst zusammengemischten Cocktails auf Basis seiner drei Spirituosen sind nach einer Stunde verkostet. Was bei den Teilnehmenden zurückbleibt, ist ein erweitertes Wissen rund um die Kunst des Mischens, gute Laune, ein wohliges Gefühl in Körper und Geist und die Hoffnung, dass die Spirituosenmarke von Stephan Hinz seine Wurzeln noch weiter ausbreiten wird und noch viele Früchte auf den Markt wirft.
Ein Erfahrungsbericht von Karolina Wojdyla