rau Wiener, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Einzug ins Europäische Parlament. Was ist denn Ihre aktuelle Berufsbezeichnung? Politikerin, Köchin, TV-Star, Autorin, Unternehmerin?
Da ich vom Parlament bezahlt werde, wird das wohl Politikerin sein.
War Ihr Gang in die Politik Wunsch oder Notwendigkeit?
Es ist ein notwendiger Versuch.
Als Politikerin wollen Sie sich unteranderem für den Ausbau der Biolandwirtschaft einsetzen. Über die Jahre hinweg haben viele den Bezug zu ihren Lebensmitteln verloren. Welche Rolle spielt die Lebensmittelindustrie dabei und wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Es ist schon erstaunlich, wie gut wir Menschen im Verdrängen sind. Wir wissen ja, dass die Herausforderungen für die Zukunft immens sind. Wir wissen, wir haben ein Ressourcenproblem und wir wissen, wir haben ein riesen Klimaproblem, ein Wasserprobenund Bodenprobenproblem. Wir leben vom Lebendigen. Das Beste, was wir tun können, ist im Einklang mit der Natur zu leben und nicht Krieg gegen sie zu führen. Einige denken, die Lösung könnte mehr Künstlichkeit in unseren Lebensmitteln sein. Mehr Gift auf dem Acker, mehr Mineraldünger, mehr Chemie, mehr Mikronährstoffe in Speisen aus dem Labor. Ich denke, dass dies absolut keine Lösung sein wird. Es sei denn, wir wollen Cyborgs werden. Die Natur erdet uns und macht uns zufrieden und ausgeglichen. Ich empfehle jeder und jedem, sich mehr mit der Natur zu verbinden, auf der Terrasse Kräuter und Tomaten zu ziehen. Blumen und Sträuchern beim Wachsen zuzusehen. Wenn es geht, selber Lebensmittel anbauen und daraus kochen. Das ist einfach eine pure Freude und erfreut die Seele – und den Darm.
Man hat manchmal den Eindruck, dass es vielen nicht einmal Wert ist, für ihre Kinder vernünftiges Schulessen zu servieren. Wo sollen wir in der Debatte dann überhaupt ansetzen?
Es ist einem der reichsten Länder der Welt nicht würdig, gerade bei unseren geliebten Kindern zu knausern und ernährungsbedingte Krankheiten dadurch zu befördern, dass wir ihnen nicht die Möglichkeit geben, sich vollwertig zu nd wie wurde er dann ernähren. Das Essen ist der Grundpfeiler unserer Existenz, unserer Gesundheit. Ohne Gesundheit ist alles nichts. Wir wollen doch alle das Beste für unsere Kinder: Geben wir ihnen zumindest das Gute.
Privat sowie geschäftlich stehen Sie für ausgewogene sowie gesunde Ernährung. Vegetarische und vegane Ernährung werden oft mit Nachhaltigkeit gleichgesetzt. Wieso ist das inunseren Köpfen so verankert?
Ausgewogene vegetarische Vollwertkost ist sehr gesund. Auch einige Wochen auf jegliches tierische Eiweiß zu verzichten, tut den allermeisten Menschen spürbar gut. Zudem sind pflanzliche Lebensmittel so viel spannender und vielfältiger als einfach nur Fleisch. Zwischen „Nestlé-Veganern“, die meist stark verarbeitete Nahrungsmittel aus der ganzen Welt konsumieren und frischkochenden Fleischverzichtern ist aber auch noch ein Kilometer Unterschied. Es gibt nicht eine einzige klare Definition, die das gesamte Ernährungsverhalten eines Menschen umschreibt.
Sind Vegetarier und Veganer die verantwortungsvolleren „Esser“?
Es gibt viele, die aus Sorge und Verantwortung unserer Erde und dem eigenen Körper gegenüber ihr Essverhalten ändern. Es gibt aber auch viele, die vegan schick finden und gleichzeitig dicke Autos fahren und jede Woche neue Klamotten kaufen. Wir leben in einer Zeit der Verführung und des Konsums. Das falsche Verhalten wird erleichtert, das richtige bestraft. Ich denke, die Politik muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass wir alle mit Freude mehr vom Guten tun wollen.
Wie sehen Sie Trends wie Paleo oderketogene Ernährung?
Wenn Sie schwer krank sind, verstehe ich jede Diät. Wenn nicht, nicht. Mal im Ernst: Sitzt das Problem wirklich im Darm oder doch eher im Hirn?
Wurde in Ihrem Elternhaus selbst gekocht und Wert auf Esskultur gelegt?
Ja. Damals kochten arme Haushalte frisch: viel Brot, viel Milch, viel Brei. Wir deckten zusammen den Tisch und wuschen zusammen ab. Gibt es etwas Kommunikativeres?
In der Uckermark betreiben Sie seit 2015 zusammen mit Partnern einen Biohof mit Futter- und Getreideanbau sowie Rindern und eigener Schlachtung.
Wir wollen Fleisch essen, möchten uns aber von dem Prozess des Schlachtens möglichst distanzieren. Eigentlich paradox. Wir haben auf Gut Kerkow die Warmschlachtung wieder eingeführt, um traditionelles Handwerk zu bewahren und zu befördern. Wenn wir nicht mehr verbunden sind mit dem Boden und den Tieren, dann haben wir auf das Leben einen nur sehr eingeschränkten Blick – und jeder ist schnell überzeugt, dass der seinige der einzig allumfassende und seligmachende ist.
Vor etwa zehn Jahren haben Sie im Rahmen einer Fernsehsendung Kinder beim Schlachten von Kaninchen helfen lassen. In den Medien gab es einen Aufschrei. Ging das rückblickend zu weit oder ist es für einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln unerlässlich?
Fakt ist, die Kinder von damals sind nun erwachsen und dankbar für dieses Ernährungscamp und den allumfassenden Ansatz. Auf dem Land haben früher Vierjährige bei einer Kuhschlachtung ohne pädagogische Betreuung zugesehen. Lassen wir doch die Kirche im Dorf. Wenn wir Fleisch essen wollen, sollten wir wissen, dass dieses nicht in der Tiefkühltruhe wächst.
In vielen Bereichen Ihres Lebens sind Sie Autodidaktin, so zum Beispiel beim Kochen. Auch in die Politik gehen Sie als Quereinsteigerin. Ist es genau diese Eigenschaft, die Sie unvoreingenommen und beherzt an neue Dinge herangehen lässt?
Es hilft dabei, Vorgänge und Vorgaben unvoreingenommener zu betrachten.
Woher nehmen Sie dieses Selbstvertrauen?
Ich kann mich nur selbst demütigen. Die Zufriedenheit und die Möglichkeiten einer Entfaltung liegen alle in mir selbst.
Haben Sie einen Wunsch an Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Gastronomie?
Nicht aufgeben und frisch selber kochen. Am besten regional und saisonal. Die Liebe, die in das Kochen fließt, die essen wir mit.
Was war Ihr schönstes Wirtshauserlebnis?
Ich hatte eine Menge toller Erlebnisse. Von der Offenheit und Liebenswürdigkeit der Bedienung bis zur hervorragenden Küche.
Hand aufs Herz, bei welchen Speisen können Sie schwerlich „nein“ sagen?
Bei frischem Fisch, bei warmen Mehlspeisen, bei reifen saftigen Früchten.
Gibt es auch ein absolutes Lieblingsessen?
Nein.
Aber ein Lieblingsgetränk?
Quellwasser, frisch aus dem Bach.
Worauf legen Sie bei der Auswahl eines Hotels immer besonders viel Wert?
Das wollte ich schon immer mal sagen: Bitte, bitte keine Plastikmatratzen und Kunstfaser-Leintücher, dank denen man permanent schwitzt, weil sie so praktisch und hygienisch sind! Menschen, die noch Körpergerüche besitzen, finden das grauenhaft. Es ist einfach ein Graus, darin zu schlafen! Nicht jeder ist inkontinent oder will sich wie im Krankenhaus fühlen. Und bitte, bitte gute Matratzen, die nicht durchlegen sind. Hundert Polster braucht auch keiner. Lieber ein hartes und ein weiches für verschiedene Schlafgewohnheiten. Bitte keine Raumdüfte oder stark riechenden Putzmittel! Bitte keine Klimaanlagen, die sich nicht abschalten lassen. Bitte keine Pappwände, durch die man den Nachbarn schnarchen hört und Fenster, die man nicht öffnen kann. Alles andere ist Körperverletzung in meinen Augen. Und warum auch alle Fünf-Sterne Hotels nur noch H-Milch anbieten oder die länger haltbare? Warum nur Industrie-Marmelade und Industrie-Brötchen, wo es doch so tolle Handwerksbäcker gibt?
Gibt es etwas, was Sie in einem Hotelzimmer besonders schätzen?
Ruhe. Bettwäsche aus 100 Prozent Baumwolle, unbehandelt. Individualität. Frische Luft. Hohe Räume, einen Gang, der nicht endlos ist. Große Fenster und nicht zu viel Nippes.
ZUR PERSON
Sarah Wiener wurde 1962 im westfälischen Halle geboren. Sie wuchs abwechselnd bei ihren seit 1964 geschiedenen Eltern auf. Wiener hat die Schule kurz vor dem Abitur abgebrochen, ist jahrelang durch Europa getrampt, wurde 1980 Mutter ihres Sohnes und lebte zeitweise in Berlin. Dort arbeitete sie schließlich in der „Exil“-Küche, lernte die Grundlagen des Küchenhandwerks und machte sich schließlich einen Namen als selbständige Cateringköchin für Familienfeste und Events. In den folgenden Jahren hatte Wiener zahlreiche TV-Auftritte in verschiedenen Talk- und Koch-Shows. Darüber hinaus engagiert sie sich im Naturschutz und setzt sich für die Belange einer natürlichen, an ökologischen Gesichtspunkten ausgerichteten Ernährungskultur ein. Bei der Wahl zum Europaparlament 2019 kandidierte sie als Parteilose für die österreichischen Grünen und wurde zur Abgeordneten gewählt.
SARAH WIENER STIFTUNG – im Einsatz für gesunde und aufgeweckte Kinder
„Für gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen“ – unter diesem Motto engagiert sich die Sarah Wiener Stiftung seit 2007 für praktische Ernährungsbildung. Im Rahmen verschiedener Projekte erleben Kinder und Jugendliche, wie viel Spaß es macht, ausgewogen, genussvoll und nachhaltig zu essen. Ziel ist es, aus Kindern aufgeklärte Esser zu machen. Im Zeitalter von Fertigprodukten, Lieferdiensten und Ressourcenknappheit ist Wissen über Lebensmittel und deren Zubereitung wichtiger denn je – doch in vielen Haushalten leider rar. Dieser Entwicklung möchte die Stiftung mit ihrer Arbeit entgegenwirken. Gefördert werden sollen jedoch nicht nur die Ess- und Kochkultur, die Gesundheit und das Sozialverhalten der Kinder und Jugendlichen, sondern auch die Umwelt, das Klima und die biologische Vielfalt. Die gemeinnützige, operative Stiftung mit Sitz in Berlin sucht deshalb die Zusammenarbeit mit Bio-Bauernhöfen, den ökologischen Anbauverbänden und der Lebensmittelwirtschaftsowie gleichgesinnten Initiativen und der Politik.
Weitere Informationen unter www.sw-stiftung.de