a, das ist eine Liebesgeschichte, wenngleich eine etwas ungewöhnliche. Denn wenn man etwas liebt, behandelt man es behutsam, geht besonders rücksichtsvoll und sanft damit um. Bei Hans verhält sich das anders. Er traktiert sein geliebtes Material mitunter recht grob. Er schlägt es, biegt es. Er bringt es zur Glut und schleift es zurecht. Der scheinbare Widerspruch zwischen Liebe und dem Drang zum Verändern gehört zu dem, was Hans selbst bescheiden als „moi Handwerk“ bezeichnet. Andere zögern nicht damit, seine Arbeit Handwerkskunst zu nennen. Und loben das, was er schafft, als Meisterwerk.
Fest steht: Hans Rimmel, 54, hat einen der ältesten Berufe der Welt. Er ist Kupferschmied. Der letzte und einzige in Deutschland, der noch in Handarbeit Kupferkessel fertigt. Bis zu 500 Liter fassen die größten. Verwendet werden sie hier im Oberallgäu traditionell für die Käseherstellung. Aber bei aller Liebe: An allererster Stelle steht natürlich seine Familie. Seine Frau, seine drei Kinder. Doch dahinter folgt das Metall, dem er seit nunmehr 30 Jahren verfallen ist, das Kupfer.
Es begann damit, dass sein Vater damals einen Kupferkessel mit nach Hause brachte. So etwas Schönes hatte der Sohn bis dahin noch nie gesehen. Wenn man so will, war es Liebe auf den ersten Blick. Sofort wusste Hans: So einen Käskessel möchte ich einmal selbst fertigen.
ER IS´ EBEN „DER RIMMEL“
„Da schau her“, sagt er. Und zeigt uns ein Blech, das er gerade austreibt, also mit dem hölzernen Treibhammer in Form bringt. „Die unterschiedliche Struktur, die verschiedenen Färbungen, jedes Teil ist einzigartig“, schwärmt er. „Kupfer ist für die Verarbeitung ideal, weil es herrlich weich und damit formbar ist. Fertig geschmiedet ist es dagegen robust und widerstandsfähig.“
Ja, zwei Seiten birgt das Material in sich. Und damit ist es „dem Rimmel“, wie Hans hier von allen genannt wird, sehr ähnlich. Rein äußerlich sieht er aus wie die lebendig gewordene Illustration eines Schmieds aus einem alten Kinderbuch. Kräftige Statur, riesige Hände, denen man ansieht, dass sie wie ein Schraubstock zupacken können. Es fehlen nicht der graue Schnurrbart und lustig blitzende Augen, die verraten, dass er für jeden Schabernack zu haben ist. Dazu trägt er als Markenzeichen einen Steinklopferhut, an dessen Band er alte handgeschmiedete Nägel gesteckt hat.
Auch seine rußgeschwärzte Werkstatt im Zentrum des Örtchens Obermaiselstein könnte uriger nicht sein. Seit 600 Jahren wird hier geschmiedet. Viele der Maschinen, Werkzeuge, Setzstöcke und Ambosse sind älter als der Schmied. Aber hinter dem dröhnenden Widerhall von bis zu 100.000 Hammerschlägen, die für einen einzigen Käskessel nötig sind, verbirgt sich auch ein Mann der leisen Töne. Einer, der viel nachdenkt darüber, warum viele der traditionellen Handwerksberufe offensichtlich unaufhaltsam zum Aussterben verurteilt sind. Der beobachtet, wie damit auch klassische Handwerkstugenden wie Mühe, Beharrlichkeit, Leidenschaft an Bedeutung verlieren. Der sich selbst dessen bewusst ist, dass es für Qualität keine Abkürzungen gibt. Zentimeter für Zentimeter bearbeitet er die mehrere Quadratmeter großen Kupferbleche. Ein Dutzend Arbeitsschritte sind nötig, bis daraus einmal ein Käskessel wird, in der typisch bauchigen Allgäuer Form.
Alles beginnt damit, dass ein Blech von mindestens drei Millimeter Stärke zum Rohr geformt und verschweißt wird. „Je größer der Kessel werden soll, desto stärker ist das Blech. Odr?“ Obwohl er sich seiner Sache sicher ist, fügt er vielen Sätzen ein „Odr?“ an. Das gehört zur Sprache, wie drüben in der nahen Schweiz. Auch dort hat er Kunden, die Schweizer schätzen seine handgefertigten Käskessel sehr.
WIE BEIM KUCHENTEIG
Das Rohr aus Kupferblech, der sogenannte Rohling, wird mit einem Flämmer erhitzt. „Ausgeglüht“ heißt das hier. Das macht das Kupfer weicher, ideal zum Treiben, also zum Hämmern, mit dem das Blech verdichtet wird.
Ausglühen und Treiben – eine Arbeit, die mehrmals wiederholt wird. Damit der Kessel die richtige Form bekommt, setzt er immer wieder eine Schablone an. Die hat er selbst nach dem Vorbild von alten Kupferkesseln gefertigt. Weist das Blech nach dem Treiben die richtige Stärke und Stabilität auf, so wird der Rand oben „umgebertelt“, also umgebogen und zur Verstärkung mit einem unterlegten Ringeisen verschweißt. Fehlt noch der Boden, „die Schale“, wie Hans Rimmel dazu sagt. Sie wird separat aus einem Blech geschnitten, ausgeglüht und ausgetrieben. „Wichtig ist, dass immer von außen nach innen gearbeitet wird“, erklärt Hans. „Das ist wie beim Ausrollen des Kuchenteigs, sonst gibt es Falten.“ Danach wird die Schale mit dem Rohling verschweißt und die Schweißnaht auf einem alten Treibklotz so lange verklopft, bis sie nicht mehr zu sehen ist. Zum Schluss bearbeitet er den Kessel mit einem Polierhammer aus Eisen, so entsteht der typische Glanz. Dabei ist Reinlichkeit oberstes Gebot. „Nicht mal ein Haar darf auf dem Polierhammer sein“, erklärt er, „sonst sieht man den Abdruck im Kupfer.“
Hans Rimmel stammt aus einer alteingesessenen Spenglerfamilie. Sein Vater war Spengler, drei seiner Brüder sind es auch. Und er selbst verdient sein Geld vorwiegend mit Spenglerarbeiten auf den Dächern der Region. Ansonsten ist er bei seinem geliebten Kupfer in der Werkstatt. Abgeschaut hat er sich die Kunst des Kesselmachens vor zwei Jahrzehnten bei einem alten Kupferschmied in Vorarlberg. Wie lange er ihm über die Schulter geschaut hat, wollen wir wissen. Wir vermuten Monate. Oder gar Jahre. „Einen Tag lang“, sagt er – und lacht. „Das hat fürs Notwendige gereicht. Alles andere kannst du nicht lernen, das musst du dir selbst beibringen.“ Und das hat er getan. Und tut es weiterhin. Auf unverkrampfte Weise ist Hans ein Perfektionist. Er reflektiert jeden seiner Handgriffe und das entsprechende Ergebnis. Immer im Bestreben, noch besser zu werden. „Ich tät das auch sofort hauptberuflich machen“, sagt er, „wenn ich davon leben könnt.“ Aber um auch nur halbwegs auf seine Kosten zu kommen, muss er für einen großen Kessel mehrere tausend Euro verlangen. Da ist das Material, bis zu 40 Kilo Kupfer. Und dann seine Arbeit, bis zu 150 Stunden.
WER DEN HERRGOTT DUZEN DARF
„Meine Frau schimpft manchmal mit mir, dass ich zu billig verkaufe.“ Aber die Kundschaft, die sich so einen handgemachten Kessel leisten kann und will, ist natürlich überschaubar. Und das, obwohl für die Herstellung von Allgäuer Bergkäse traditionell keine Alternative zum Kupferkessel erlaubt ist. „Das Kupfer gibt Ionen ab, die unterstützen die Reifung und fördern die Säurebildung.“ Kurz gesagt: Bergkäse aus Kupferkesseln schmeckt einfach besser. Dazu sind die Kessel wunderschön, ein Blickfang. Die Holztore der Werkstatt stehen meist offen, wenn er arbeitet, „der Rimmel“. Oft bleiben Passanten stehen und schauen ihm bei der Arbeit zu. Er mag das gerne. Er ist mit jedem gleich per Du. Und erklärt das so: „Schließlich heißt es ja auch: Vater unser, der du bist im Himmel. Wenn ich zum Herrgott du sagen darf, warum nicht auch zu dir?“ Niemals sollte jemand auf die Idee kommen, seine Werke als „Kübel“ zu bezeichnen. Da wird der sonst so sanftmütige Allgäuer sauer, aber richtig. Nein, Kübel stellt er nicht her, sondern Kessel, von denen keiner ganz genau dem anderen gleicht. Jeder ist ein Unikat, auf das Hans, das ist zu spüren, stolz ist. „Meine Käskessel halten mindestens hundert Jahre.“ Was muss das für ein Gefühl sein, zu wissen: Deine Werke werden dich überleben! Natürlich, die Spuren des Lebens, sie sind deutlich zu sehen. „So wie bei uns Menschen halt auch.“ Wenn man sich sogar daran erfreuen kann, dann ist es wahrscheinlich wahre Liebe.