ERR SCHEUERMANN, GASTRONOMEN UND HOTELIERS BEFINDEN SICH DERZEIT IN EINER UNGLAUBLICH SCHWIERIGEN SITUATION. WIE, GLAUBEN SIE, KANN ES DIESE BRANCHE DURCH DIE KRISE SCHAFFEN?
Kurzarbeit ist in vielen Betrieben, mit denen ich spreche, das Gebot der Stunde. Ich habe noch nicht von vielen Betriebsschließungen beziehungsweise Entlassungen gehört. Aber wenn keine Substanz da ist, wird es schwierig. Wenn man also in den vergangenen Jahren keine Rücklagen gebildet hat, wird es trotz Staatshilfen an der einen oder anderen Stelle durchaus kritisch. Ich habe mit vielen Gastronomen gesprochen: Es gibt viel Innovation und Kreativität – zum Beispiel Pick-Up-Services und Take-Aways. Ich glaube, es ist zumindest so, dass man in gewisser Art und Weise weitermachen kann. Gerade die Menschen in der Gastronomie sind ja alles „Anpacker“.
SIE BEOBACHTEN DAS GESCHEHEN SCHON SEIT GERAUMER ZEIT ALS WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTLER. MIT WELCHEN INVESTITIONSMASSNAHMEN KANN DIE DERZEIT SCHLECHTE AUFTRAGSLAGE IM GASTGEWERBE NACHHALTIG VERBESSERT WERDEN?
Soforthilfen, wie sie beschlossen wurden, für kleine und mittlere Betriebe sind ein Schritt in die richtige Richtung, ergänzt durch Betriebsmittel beziehungsweise durch Kredite und Bürgschaften. Hier ist bekanntlich ein ganzes Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht worden und teilweise – je nach Bundesland – auch schon ausbezahlt. Auch die Mehrwertsteuersenkung auf 7 Prozent ist sicherlich ein interessantes Thema – nicht nur im Hotel-, sondern auch im Gastgewerbe.
WAS HALTEN SIE LANGFRISTIG VON 7 PROZENT MEHRWERTSTEUER IM GASTGEWERBE?
Das würde sicherlich etwas nützen. Das sind 12 Prozent, die sofort dem Profit zufließen, wenn die Preise stabil gehalten werden können. Andere Länder machen das schon vor. Ich persönlich finde es auch immer wieder ein bisschen schwierig, bei steuerlichen Berechnungen Hotel- und Gaststätteneinnahmen auseinanderzurechnen. Ich finde es viel zu kompliziert – das sollte vereinfacht werden.
ZURÜCK ZUM CORONA-THEMA: WIE KÖNNEN DIE WIRTSCHAFTLICHEN SCHÄDEN BEGRENZT WERDEN, OHNE DABEI ABSTRICHE BEIM MEDIZINISCHEN SCHUTZ MACHEN ZU MÜSSEN, DER GERADE VORRANGIG IM BLICK IST?
Wir müssen jetzt auch auf die Nachfrageseite sehen. Ich glaube mit Blick auf die Gastronomie wird ein gewisser Nachholeffekt zu verzeichnen sein. Dennoch wird sich die Spreu vom Weizen trennen: Welche Konzepte sind zukunftsfähig und welche nicht? Einer der wesentlichen Punkte ist, dass, wenn jetzt wieder aufgemacht wird, auch Anschubfinanzierungen für den Wareneinkauf und so weiter nötig sind. Das Umlaufvermögen muss irgendwie vorfinanziert werden, auch das muss dann gegebenenfalls nochmals durch eine Art „Anschubpaket“ finanziert werden.
WAS BEDEUTETE ES FÜR SIE ALS GASTRONOMIEKRITIKER, DASS DIE RESTAURANTS DERZEIT GESCHLOSSEN SIND?
Darauf blicke ich mit einem weinenden, aber auch mit einem lachenden Auge. Weinend, weil ich derzeit nicht in meine Lieblingsrestaurants gehen und dadurch kein kulturelles und kulinarisches Erlebnis mehr haben kann. Freude macht es mir allerdings zu sehen, wie die schwierigen Rahmenbedingungen zu vielen gute Ideen geführt haben, vom Beispiel des „Pick-Up-Service“ habe ich schon kurz gesprochen. Diese Boxen werden zwischenzeitlich sogar deutschlandweit verschickt. Alexander Herrmann war hier ein Vorreiter. Ich finde, der macht in dieser Hinsicht einen hervorragenden Job.
MACHEN SIE SICH JETZT PERSÖNLICH SORGEN UM DIE ZUKUNFT DER RESTAURANTS?
Um manche schon. Auf der anderen Seite gibt es aber auch gute Konzepte mit Integrität, mit einem gewissen Storytelling. Es ist ja nicht nur so, dass Gastronomen „nur“ kochen oder ein Hotel haben, sie betreiben einen Erlebnisverkauf. Und diese Orte werden nach der Krise vielleicht noch mehr gefragt sein, denn je. Ich glaube, es ist auch eine Chance für die regionale Gastronomie und regionale Konzepte. In Bayern gibt es davon sehr viele, weil viele Gastwirte regional kochen und auch die regionale Küche sowie die Traditionen hochhalten – das ist auch eine Chance.
ANMERKUNG DER REDAKTION: Dieses Interview wurde während der vollständigen Schließung der bayerischen Gastronomie und noch vor der Senkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent im gastgewerblichen Bereich geführt.