s muss die Welt eines Zehnjährigen schon gewaltig prägen, dass praktisch alles, was an Spielzeug und filigraner Haushaltstechnik in die Brüche geht, unter den geschickten Fingern des Vaters wiederaufersteht. Kaputt heißt dann nicht „ab in die Tonne“, sondern nur „vorübergehend außer Betrieb“. So einen Papa kann man an der Tankstelle schon herzeigen.
ADERERZANGE UND LECRON-MESSER
Peter wird dieser Tage 58 Jahre alt und war mehr als 30 Jahre davon als Zahntechniker in München tätig. Zahntechniker sind ja, was die mechanische Miniaturenwelt des 21. Jahrhunderts betrifft, moderne Alchemisten. Sie haben in der Ausbildung gelernt, wertvolle Metalle zu verarbeiten und zu legieren, aber auch bei Keramik und Kunststoff sind sie Experten. Sie kennen sich mit Spezialklebstoffen aus, mit Verschraubungen und Verlötungen, und sie können mit ihren winzigen Schleifscheiben, mit Adererzange, Rosenbohrer, Gummipolierer, LeCron-Messer und einer ruhigen Hand unglaublich kleinteilige Arbeiten bewerkstelligen. Das grenzt dann oft nicht nur für zehnjährige Lausbuben an Zauberei. Jedenfalls hatte der vierfache Vater nach dem Abstottern des Kredits für das Einfamilienhaus in Aschau im Chiemgau nach 30 Jahren genug von Zahnprothesen und Kunstlicht-Labors. Und nachdem er fast ebenso lange als ehrenamtlicher Gruppenleiter bei den Pfadfindern war, wo man bei jeder Gelegenheit schnitzt und schnippelt und schnabuliert, war seine Begeisterung für gute und schöne Messer schon lange vorher geweckt.
Über Jahre – anfangs als Hobby, später professionell – eignete sich Peter Pfaffinger sehr viel Fachwissen über Messer, ihre Herstellung und ihren Gebrauch in Mitteleuropa an. Heute gilt er als der Experte für Fuhrmannsbesteck, wie man es in manchen Teilen Bayerns zur Tracht trägt und wie es im 18. und 19. Jahrhundert vor allem bei wohlhabenden Reisenden gang und gäbe war. Peter hat so ein altes Besteck in der Werkstatt liegen. Zum Restaurieren. Das Jahr 1841 ist eingraviert.
Wer im Jahr 1841 ein Wirtshaus betrat, bekam dort vieles, aber bestimmt nicht Messer und Gabel. Man aß mit den Fingern oder mit Löffeln aus Holz oder Horn. Es gab für den gemeinen Mann Grütze, Suppe, Voressen aus Innereien, Brot – jedenfalls nichts, wofür man eine Gabel gebraucht hätte. Fleisch war ein Festtagsgericht. Nur Wohlhabende konnten sich das auch unter der Woche leisten.
GROTTENSCHLECHTER MONOSTAHL
So galt für 90 Prozent der Menschen ein eigenes Essbesteck mit einer zweizinkigen Gabel, die ausschließlich dem Aufspießen von Fleischstücken taugte, als eitler Tand. „Das war so nützlich wie ein Porsche, der 300 geht und mit dem ich in der Stadt durch die 30er-Zone rolle“, sagt Peter und lacht ein wenig zynisch. „Ein reines Statussymbol.“ Und als solches begehrt und beliebt.
Peters Essbestecke, die er samt maßgeschneiderter Lederscheide und individueller Gravur in absoluter Eigenregie anfertigt, gelten unter Trachtenliebhabern und Jägern immer noch als Statussymbole und sind nach wie vor sehr begehrt, obwohl sie heute deutlich leistbarer sind.
Der Stahl für die Fuhrmannsmesser wird nicht eigens geschmiedet und gefaltet wie etwa bei Damastmessern, sondern aus geeignetem Edelstahl geschnitten und dann zurechtgeschliffen, erklärt Peter Pfaffinger. Das ist näher am Original, und die Qualität ist trotzdem um ein Vielfaches besser als im 19. Jahrhundert. „Der bayerische Monostahl zu der Zeit war grottenschlecht. Aber es muss ja auch umgekehrt kein Hochleistungsstahl sein, wenn ich damit nur Brotzeit machen will.“
„Freilich konnte es einem früher schon passieren“, räumt Peter ein, „dass ein schlechtes Messer darunter litt, wenn der Speck zu hart war. Deshalb hat man die Messer sehr breit gemacht. Dadurch war genug Material drauf, dass man sie länger wetzen konnte. Und auch das hat Tradition. Aus diesem Grund ist bei meinen Bestecken meist ein sogenannter Streicher oder Wetzstahl dabei.“ Und in dem Streicher versteckt sich – ebenso wie früher – manchmal noch eine Menscha-Springgabel. „Falls die Begleitung auch mitessen wollte“, sagt der Messermacher von Aschau augenzwinkernd.
Dass Peter Pfaffinger überhaupt in der Lage ist, solche Bestecke – von der Klinge, über den Griff bis zu aufwendigen Silbernieten, Perlmutt-Einlegearbeiten und eingravierten Sinnsprüchen – herzustellen, liegt an seiner Zahntechniker-Ausbildung. Die ermöglicht es ihm, die alten Methoden mit den modernen zu verbinden: Vorlagen für Silberornamente – vom Blümchen bis zum Monogramm – modelliert er mit Pinzette und Zahlen aus Wachs und gießt sie dann im Zahntechnik- Ofen. Winzige Ziehharmonikas, Gamsböcke, Tierkreiszeichen und stecknadelkopfgroße Kreuze werden in Handarbeit aus Perlmutt- oder Hornplatten ausgeschnitten, ausgefräst, zurechtgefeilt und in die Griffe eingepresst.
MESSER UND GABEL RASTEN IM LEDER EIN
Unglaublich auch, was Peter herumgetüftelt hat, bis er die ledernen Scheiden so passgenau aus einem Stück formen konnte, dass Messer und Gabel mit einem satten „Klack!“ regelrecht im Leder einrasten. Um sie aus ihrer sicheren Verwahrung in der Scheide herauszuholen, gibt es sogar eine eigene kleine Betriebsanleitung. All das zeugt von hoher handwerklicher Präzision, aber auch von großer Liebe zum Detail.
Auf die alte Schreibschrift seiner Gravuren angesprochen, zupft der Meister ein altes Buch aus dem Regal, in dem alle gängigen deutschen Schreibschriften der vergangenen drei Jahrhunderte mit Textbeispielen angeführt sind: „Derzeit graviere ich meine Messer mit der Kurrentschrift von 1900. Die hab ich noch als letzter Jahrgang in der 4. Klasse der Volksschule von Aschau offiziell lernen müssen. Passender wäre aber eigentlich die alte Schreibschrift von 1814. Die hab ich nur noch nicht so richtig hinbekommen. Da muss ich noch üben…“
Weitere Informationen unter www.fuhrmannsmesser.de