rau Gerlach, Sie sind Deutschlands erste Digitalministerin, leben jedoch nicht in einer virtuellen Blase. Bei Ihrer Vereidigung auf das Fehlen eines Twitter-Accounts angesprochen, entgegneten Sie, dass Sie lieber mit analogen Menschen am Biertisch zusammensitzen. Hat sich das nach den ersten 100 Tagen im Amt geändert?
Für mich zählt der Kontakt zu den Menschen, ob per Videotelefonie, Chat, E-Mail, oder bei der persönlichen Begegnung. Digital und analog sind keine Gegensätze, sondern nur verschiedene Wege der Kommunikation. Für mich als Politikerin gilt: Ich will die Leute da abholen, wo sie selbst präsent sind. Das kann auf einer Veranstaltung sein, über meinen Facebook-Kanal oder beim politischen Stammtisch im Wirtshaus.
Die Digitalisierung hat starken Einfluss auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft und ist zugleich Innovationsmotor der Zukunft. Sie schafft ganz neue Geschäftsmodelle und ungeahnte Möglichkeiten. In welchem Bereich hat die Digitalisierung für gastgewerbliche Unternehmen, die oftmals sehr kleinstrukturiert sind, den größten Einfluss?
Vorzüge sehe ich hier insbesondere im Bereich Vermarktung. Kleine Betriebe können nicht so viel Geld für Werbung ausgeben wie große Ketten. Die Digitalisierung bietet aber viele Möglichkeiten, sich Gästen aus aller Welt zu präsentieren – vom einfachen Social Media-Auftritt bis hin zum komplexen Buchungs- oder Reservierungssystem. Hier werden auch Bewertungsportale immer wichtiger. Positives Feedback im Internet ist viel Wert – egal ob Hotel oder Wirtshaus. Auch bei vielen organisatorischen Aufgaben, die in Hotellerie und Gastgewerbe anfallen – etwa Arbeitszeiten, Buchhaltung oder Logistik – tragen digitale Anwendungen dazu bei, dass die Unternehmer sich mehr um das Wesentliche kümmern können: ihre Gäste.
Wird es durch Ihr Ministerium Unterstützung für kleine Betriebe geben?
Die Staatsregierung bietet bereits eine Reihe von Förderprogrammen an, die gerade auch kleineren, mittelständischen Betrieben zu Gute kommen. Der Digitalbonus Bayern ist dafür ein gutes Beispiel. Damit wollen wir insbesondere den klassischen Mittelstand an die Digitalisierung heranführen. Ein wichtiger Bestandteil meines Ministeriums ist die Frage, wie wir auf technologische Entwicklungen und Neuheiten reagieren und strategische Weichen stellen. Deshalb habe ich immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Branche und ihre Ideen für neue Wege bei der Digitalisierung im Hotel- und Gaststättengewerbe.
Sehen Sie auch Risiken in der Digitalisierung, speziell in Hotellerie und Gastronomie?
Mit der Möglichkeit, sich durch digitales Marketing weltweit zu präsentieren, steigt natürlich auch die Konkurrenz in Hotellerie und Gastronomie und damit der Kampfgeist auf Bewertungsportalen. Gute Bewertungen sind ein Segen, unberechtigt schlechte sind gefährlich. Klar ist: Wer die unaufhaltsame Entwicklung nicht für sich nutzt, gefährdet langfristig sein Geschäft. Jedes Unternehmen braucht eine digitale Strategie. Was den grundsätzlichen Nutzen der Digitalisierung hier betrifft: Sie muss die Arbeit der Menschen leichter machen und ergänzen. Im Hotel- und Gastgewerbe ist gerade das menschliche besonders gefragt. Die Wirtin, die an den Tisch kommt und nach besonderen Wünschen fragt, oder der Hotelier, der einen Geheimtipp hat, der nicht im Reiseführer steht. Das sind Dinge, die für mich ein gutes Hotel oder Gasthaus ausmachen..
Die Hotellerie ist laut Deutschem Digitalindex die digitalisierteste Branche Deutschlands – noch vor der Informations- und Kommunikationsbranche, die Gastronomie liegt hingegen im Branchenvergleich leicht zurück. Welche Gründe hat dies?
Ein Hotelzimmer lässt sich online leicht buchen. Wer ins Gasthaus, also zum Wirt geht, möchte sich auch buchstäblich bewirten lassen. Der Faktor Mensch spielt eine ganz entscheidende Rolle. Das ziehen die Gäste in dem Moment bewusst einer Suppe aus dem Automaten vor.
Kaum eine andere Branche steht derart unter Beobachtung ihrer Gäste und hat einen so engen Kundenkontakt wie das Gastgewerbe. Sehen Sie ein Problem in der zunehmenden Digitalisierung in Hinblick auf den individuellen Service? Geht dabei ein Stück Persönlichkeit und Gastlichkeit verloren?
Das glaube ich nicht. Eher im Gegenteil. Die Digitalisierung spielt ihre Stärke vor allem bei organisatorischen Abläufen aus, etwa der Online-Reservierung. Dadurch bleiben mehr Kapazitäten für den individuellen Service. Viele Gäste erwarten heute aber auch genau diesen Service. Wir brauchen die gute Mischung: online für eine bequeme Buchung und der persönliche Kontakt für die darüberhinausgehenden Wünsche.
Legen Sie persönlich Wert auf freies WLAN, elektronische Rechnungen oder Online-Reservierungen bei einem Aufenthalt in einem Restaurant oder Hotel?
WLAN im Hotel ist in meinen Augen ein Service, den mehr und mehr Menschen in ihrem Urlaub erwarten. Dieser Service gehört für mich mit dazu. Ich persönlich komme im Restaurant auch ohne WLAN aus. Da geht es mir um das Essen und die Menschen, mit denen man isst.
Der DEHOGA Bayern hat – gefördert durch den Freistaat Bayern – die Kampagne „Zukunft für das bayerische Gastgewebe“ gestartet. Ziel ist es, zukunftsfähige Ideen für Gastwirte aufzuzeigen. Ihr Ministerium bietet ja auch eine ganze Reihe von Unterstützungsmaßnahmen für Gastronomen und Hoteliers. Welche Tipps haben Sie für die Verbesserung im Gastgewerbe im Hinblick auf die Digitalisierung?
Es geht vor allem darum, dass auch kleinste und kleine Betriebe die digitalen Chancen ergreifen. Bei einem kleinen Wirtshaus auf dem Land sind das natürlich andere, als einem großen Wellness-Ressort. Jedes Unternehmen muss für sich entscheiden, wie digital es werden will, muss sich aber auch bewusst sein, dass die Möglichkeiten der digitalen Welt die Ansprüche der Gäste mitprägen. Es muss nicht gleich das Wirtshaus 4.0 sein. Man kann eine Digital-Strategie auch in kleinen Schritten umsetzen.
Zur Person
Judith Gerlach (33) ist seit 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags und hat dort bereits in den Ausschüssen für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration sowie für Bundes- und Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen mitgearbeitet. Die gebürtige Würzburgerin studierte nach dem Abitur 2006 Rechtswissenschaften und arbeitet seit Sommer 2013 als selbstständige Rechtsanwältin in Aschaffenburg. Seit November 2018 ist Gerlach Staatsministerin für Digitales. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.