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egatrends sind langfristige und tiefgreifende Veränderungen, welche die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Umwelt weltweit prägen. Trends dagegen sind kurz- bis mittelfristige Entwicklungen, die sich aus den Megatrends ableiten oder von ihnen beeinflusst werden. Das Zukunftsinstitut – eine auf Trend- und Zukunftsforschung spezialisierte Agentur – nennt Megatrends „Lawinen in der Zeitlupe“ und listet auf ihrer Internetseite (siehe Infokasten unten) zwölf Megatrends auf. Ihre graphische Darstellung ähnelt einer U-Bahn-Karte, was deren Vielschichtigkeit und gegenseitige Beeinflussung verdeutlichen soll.
Die detaillierte Auflistung aller vom Zukunftsinstitut definierten Megatrends sowie weitere Informationen zum Thema finden Interessierte auf der Internetseite www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends.
Dabei ist der Megatrend der Konnektivität, also der „Vernetzung auf Basis digitaler Infrastrukturen“ aus touristischer Sicht als eine der bedeutendsten Megatrends zu betrachten. Anders ausgedrückt – es ist die U-Bahn-Linie mit den meisten Stationen und Gästen (um bei dem Sinnbild einer U-Bahn-Karte zu bleiben). Dies äußert sich in der mittlerweile vollständigen Digitalisierung der touristischen Customer Journey. Der damit verbundene Trend wird als „Smart Tourism“ bezeichnet, wobei der seit etwa 2010 in dem Kontext verwendete Begriff „smart“ sich auf die Nutzung von Technologien wie Künstlicher Intelligenz, virtueller und erweiterter Realität, Internet der Dinge und so weiter bezieht, um das Reiseerlebnis der Kunden zu optimieren und zu personalisieren.
Damit verbunden ist die gesteigerte Nutzung von mobilen Anwendungen und Plattformen, durch die Kunden ihre Reisen bequem von ihrem Handy oder Tablet aus planen und buchen können. Ein Beispiel dafür wäre das Hotel „Smartel“ in Ahaus, das getreu dem durchaus provokativen Motto „Hotels werden gebraucht. Hoteliers nicht“ (fast) vollständig auf menschlichen Service verzichtet. Die Auswahl und Buchung des Zimmers, das Ein- und Auschecken sowie die Abrechnung und Bezahlung laufen ohne menschlichen Kontakt über ein Smartphone; nur für die Zimmerreinigung werden Housekeeping-Kräfte gebraucht.
Ein weiterer Megatrend, der im touristischen Kontext besonders stark hervorzuheben ist, ist der Megatrend der Neo-Ökologie. Damit ist das wachsende Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein der Menschen gemeint. In der Tourismusbranche manifestiert sich dieser unter anderem in steigender Anzahl von nachhaltigkeitszertifizierten Unterkünften, die sich vor allem in puncto Klimaneutralität sowie regionale, saisonale und Bio-Verpflegung hervortun.
Als Vorreiter im deutschsprachigen Raum gilt das Boutiquehotel Stadthalle in Wien – laut Eigenwerbung „das erste Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz“. Diese wird durch mehrere Maßnahmen wie die Bauweise des Hotelgebäudes als Passivhaus, hoteleigene Photovoltaik- und Solar-Anlage oder der Verzicht auf Minibars erreicht. Sind die Auswirkungen des Megatrends „Konnektivität“ auf die touristische Branche deutlich sichtbar, entsteht bei „Neo-Ökologie“ der Eindruck, dass sie noch nicht in der breiten Masse angekommen sind.
Trotz des offensichtlichen Bewusstseins, beispielsweise für den Klimawandel und damit verbundene Umweltprobleme, gibt es eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen dem Wunsch der Touristen nach Nachhaltigkeit beim Reisen und der Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Entscheidung für eine konkrete Reise. Dieses als „Value-Action-Gap“ bekannte Phänomen, also einer Lücke zwischen der Theorie und Praxis wird unter anderem in den Ergebnissen der Reiseanalyse aus dem Jahr 2022 sichtbar – der bekanntesten deutschen touristischen Umfrage. Wird die Frage „Ich möchte, dass meine Reise nachhaltig ist“ von rund zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten bejaht, sind es nur 13 Prozent der Probanden, die bei ihrer Urlaubsreise ein nachhaltigkeitszertifizierten Angebot gebucht haben und lediglich 9 Prozent, die eine CO2-Kompensation für ihre Urlaubsreise getätigt haben. Diese Lücke wird von Autoren sehr treffend wie folgt beschrieben: „Nachhaltigkeit ist den Menschen wichtig – aber andere Aspekte in der Reiseentscheidung sind es eben auch. Am Ende wird zwischen den vielen Anforderungen an die schönste Zeit im Jahr abgewogen. Und nur selten ist die Nachhaltigkeit dabei ausschlaggebend.“
Neben den beiden Megatrends „Konnektivität“ und „Neo-Ökologie“ soll an dieser Stelle noch auf eine dritte „U-Bahn-Linie“ eingegangen werden – den Megatrend „New Work“. Der Begriff bezieht sich auf neue Arbeitsstrukturen, in denen die Grenzen zwischen Leben und Arbeiten zunehmend verschwimmen. Diese Entwicklung ist wahrscheinlich nirgendwo so sichtbar wie bei dem Trend zu „Bleisure-Reisen“. Die Kombination von Business und Leisure (Freizeit) lässt Geschäftsreisen immer mehr zu hybriden Erfahrungen werden, wo Arbeit und Freizeit fließend ineinander übergehen. Statt nach einem Geschäftstermin unmittelbar zurückzukehren, nehmen Reisende den Aufenthalt als Möglichkeit wahr, den Ort und seine Kultur zu erforschen und somit ihr Arbeitserlebnis zu bereichern. Diesen Trend hat beispielsweise das Convention Bureau Rheinland-Pfalz mit seinen seit 2021 laufenden Kampagnen „Hier mache ich meine Geschäftsreise zum Urlaub“ aufgegriffen und nach eigenen Angaben eine Gesamtreichweite von rund 5,8 Millionen Impressionen erreicht.
Die in diesem Beitrag präsentierten Megatrends „Konnektivität“, „Neo-Ökologie“ und „New Work“, verbunden mit den damit einhergehenden touristischen Trends, können sicherlich als die gegenwärtig wichtigsten Entwicklungen in der Tourismusbranche gesehen werden. Sie decken jedoch keineswegs die vollständige Bandbreite relevanter Tendenzen ab. Hier lohnt sich ein detaillierterer Blick auf die eingangs genannte U-Bahn-Karte der Megatrends.
Prof. Dr. Anna Klein,
Professorin für Tourismusmanagement an der IU Duales Studium, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT e.V.), Mitglied im Beirat für Fragen des Tourismus der Bundesregierung