tefan, du lebst auf einem Bauernhof im Chiemgau. Was verbindet dich persönlich mit dem Begriff Heimat?
Für mich ist Heimat all das, was mich tagtäglich umgibt. Dadurch, dass ich die Hälfte meines Lebens im Ausland verbringe, ist es für mich etwas ganz Besonderes, „dahoam“ im Chiemgau zu sein und alle Freiheiten zu genießen, die mir mein Zuhause bietet. Ich bin ja sozusagen ein echter Klischee-Bayer – ich mag Biergärten, Tanzmusik, die Natur. Generell ist der Heimatbegriff jedoch ziemlich schwer zu fassen. Wenn ich beispielsweise in Brasilien bin und Samba-Rhythmen auf den Straßen höre, ist das für mich so etwas wie eine musikalische Heimat.
Welche Faktoren machen aus deiner Sicht eine authentische, urbayerische Ortschaft aus?
Ganz klar die Wirtshauskultur. Ich finde es zum Beispiel toll, wenn der Wirt sagt: Ich habe leider nur noch zwei Portionen Kässpatzen da, aber wie schaut’s aus, ich könnte auch noch einen Salat machen – das ist für mich ideal. Keine riesige Karte, sondern nur ein Gericht, dazu ein Bier von einer örtlichen Brauerei. So stelle ich mir das idealtypische bayerische Dorf vor. Gerade das, was andere vielleicht kitschig finden, macht für mich tatsächlich den besonderen Reiz aus.
Im Bayerischen Rundfunk hast du kürzlich einen Wunsch an den Freistaat geäußert – nämlich „Rettet die Wirtshäuser“. Wie kam es dazu?
Als ich im Hinblick auf die Landtagswahl nach einem politischen Wunsch gefragt wurde, lag die Antwort für mich quasi auf der Hand. Dadurch, dass es in Bayern sehr viele kleine Ortschaften gibt, die wir im Rahmen unserer Konzerte besuchen, haben wir festgestellt, dass immer mehr Wirtschaften schließen. Und genau diese Wirthauskultur zeichnet Bayern aus meiner Sicht aus, weshalb es sich allemal lohnt, sie zu bewahren. Vor allem für uns Musiker hat das Wirtshaus einen enormen Stellenwert, sie sind für uns zentrale Treffpunkte, an denen wir beispielsweise unsere ersten Gigs spielen. Sie bieten jungen Bands eine Bühne, ihre Laufbahn zu starten. Wenn das alles wegfällt, stirbt automatisch auch ein Teil dessen, was das kulturelle Leben in den bayerischen Dörfern ausmacht.
Mittlerweile gibt es in Bayern rund 500 Gemeinden, die gar kein Wirtshaus mehr haben. Hat diese Entwicklung spürbaren Einfluss auf die Künstlerszene?
Das ist insofern schwer zu beantworten, weil Bayern bei diesem Thema im Vergleich zu anderen Bundesländern sicher eine Ausnahmerolle innehat. Aus Sicht vieler junger, regionaler Bands ist es gleichwohl ein Problem, wenn immer mehr Gasthäuser und damit auch potenzielle Spielorte wegfallen. Für die kulturelle Entwicklung ist das ein ziemlicher Rückschritt. Man merkt es ja im Radio und im Fernsehen: Bayerische Musiker tun sich zunehmend schwer, dass ihre Stücke gespielt werden.
Du trittst auf den unterschiedlichsten Bühnen auf. Spielt ihr im Wirtshaus eigentlich ein anderes Programm als beispielsweise in einer großen Halle?
Klar. Denn jede Ortschaft ist anders. Auch die Wirtshäuser unterscheiden sich grundlegend. Wie alt ist der Wirt? Wie setzt sich der Stammtisch zusammen? Wie sieht das Inventar aus? Das sind zentrale Fragen, die es zu berücksichtigen gilt. Auf diese Weise merken wir ziemlich schnell, wie die Menschen vor Ort drauf sind. Wenn es zum Beispiel eher gemütlich zugeht, heißt das in der Regel, dass es eine lebendige Gemeinschaft gibt.
In den sozialen Netzwerken haben inzwischen mehr als 300.000 Menschen deinen „Wunsch an Bayern“ gesehen und über 3.200 haben ihn sogar geteilt. Glaubst du, dass die urigen Wirtshäuser auf der einen Seite und die fortschreitende Digitalisierung auf der anderen Seite überhaupt noch zusammenpassen?
Das denke ich schon. Es gibt ja mittlerweile auch ganz viele Wirte, die innovative Ansätze verfolgen – sei es in Form einer moderner interpretierten Küche oder mutiger Gestaltungskonzepte. Das Problem ist doch vielmehr, dass sich gerade junge Gastronomen mit einer Vielzahl an Hürden konfrontiert sehen, die schwer zu überwinden sind. Für Außenstehende mag das oftmals schwer zu verstehen sein. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Menschen nachvollziehen können, warum vieles so kompliziert ist. Dazu bedarf es mehr Transparenz und öffentlichkeitswirksame Aufklärung.
Gibt es bestimmte Werte und Traditionen, die verloren gehen, wenn wir keine Wirtschaften mehr haben?
Die gibt es, und zwar auf der ganzen Welt. Das Gasthaus ist ein Versammlungsort, der von Gemeinschaftssinn geprägt ist. Gerade das trägt dazu bei, dass ein Dorf lebendig bleibt. Dass die Menschen miteinander reden und sich gegenseitig unterstützen, ist enorm wichtig.
Könntest du dir vorstellen, in deinem zweiten Leben Wirt zu sein?
Auf alle Fälle. Das einzige Problem wäre, dass ich dann wahrscheinlich nur am Biertrinken und Party machen wäre. Da schlagen meine Musikergene dann wohl doch etwas zu stark durch. Aber nein, Spaß bei Seite: Ich finde das Gastgewerbe eine einmalige Branche, allein durch die vielen unterschiedlichen Charaktere, die dort arbeiten. Und genau das finde ich so toll. Jeden Tag was anderes erleben; jeden Tag neue Menschen kennenlernen.
Was war dein schönstes Wirtshauserlebnis?
Da gibt es super viele. Aber an ein bestimmtes Erlebnis erinnere ich mich besonders gerne zurück: Wir waren damals auf Tour und kamen für einen Auftritt in ein Wirtshaus mit einem Saal, der uns allen wahnsinnig bekannt vorkam. Als uns der Wirt dann erzählte, dass hier Szenen für die TV-Serie „Irgendwie und Sowieso“ gedreht wurden, waren wir – als große Fans der Serien aus den 80er-Jahren – völlig aus dem Häuschen.
Hand aufs Herz: Bei welchen Speisen kannst du nur schwerlich „nein“ sagen?
Bei denen, die der Wirt empfiehlt.
Gibt es auch ein absolutes Lieblingsessen?
Nein, das wäre ja auch zu langweilig. Ich esse wie gesagt am liebsten das, was der Wirt empfiehlt.
Kannst du eigentlich kochen und wenn ja, kochst du gerne?
Ja, ich kann kochen. Vor allem für und mit Freunden und Familie koche ich sehr gerne und ausgiebig. Für mich alleine werden‘s dann aber doch meistens die eher einfachen und schnellen Gerichte wie Spaghetti mit Tomatensoße.
Gibt es ein Lieblingsgetränk?
Bier. Am liebsten von kleinen bayerischen Brauereien.
Wie du schon sagtest, bist du dein halbes Leben unterwegs und schläfst dadurch auch viel in Hotels. Worauf legst du bei der Auswahl deiner Unterkunft besonders viel Wert?
Ehrlich: Die Nähe zum Veranstaltungsort ist für mich das allerwichtigste Kriterium.
Gibt es etwas, was du in einem Hotelzimmer besonders zu schätzen weißt?
Ich bin da völlig unkompliziert und pflegeleicht was die Ausstattung angeht. Die persönliche Note der Gastgeber macht den Aufenthalt letztlich zu einem besonderen Erlebnis. Ich werde zum Beispiel nie vergessen, dass uns eine Unterkunft eine Brezn und ein Bier auf unser Zimmer gestellt hat, als kleine Stärkung nach einem Auftritt.
...trostlos und öde.
Das Interview führte Chef-Redakteur Frank-Ulrich John.
Zur Person
Der Vollblutmusiker Stefan Dettl (37) ist in Traunstein geboren und im oberbayerischen Grassau im Chiemgau aufgewachsen. Internationale Bekanntheit erlangte er ab 2008 als Frontmann der Gruppe LaBrassBanda. Zuvor war er bereits Mitglied in einigen Auswahl- und Berufs-Sinfonieorchestern, seit 2010 betreibt er auch ein Bandprojekt unter eigenem Namen. Charakteristisch sind sein Gesang in bayerischer Mundart sowie sein virtuoses Trompetenspiel. Seit 2010 ist er zudem Verleger des Kulturmagazins MUH.