err Marquard, Sie betreiben das Projekt „Sterneküche macht Schule", um jungen Menschen gesunde Ernährung nahezubringen und ihnen gleichzeitig Lust aufs Kochen zu machen. Eine der Säulen, auf denen das Konzept basiert, ist Nachhaltigkeit. Wieso liegt Ihnen dieses Thema so am Herzen?
Ganz einfach: Es geht um unsere Zukunft! Deswegen gehe ich das Thema ganzheitlich an und unterstütze nicht nur Gastronomen, sondern auch Eltern und deren Kinder. Dabei stelle ich immer wieder fest, wie viel Spaß es macht, auf Augenhöhe gemeinsam komplexe Prozesse zu durchleben. Die Möglichkeit, selbst agieren zu dürfen, baut Hemmungen ab und schärft den Blick fürs Wesentliche.
Was würden Sie sich hinsichtlich nachhaltiger Schulverpflegung von den Verantwortlichen wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass der Staat in Sachen gesunde Ernährung klare Leitlinien definiert, damit nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht. Fakt ist: So lange sich jeder nur um seine eigenen Belange kümmert, findet kein Umdenken statt. Es geht letztendlich nur um eine einzige Sache – und das ist die gesunde, nachhaltige und respektvolle Ernährung unserer Kinder. Ziel muss sein, dass unsere Nachfolgegenerationen Spaß am Kochen haben und das Metier auch beherrschen. Kinder sind hier haben, fordern sie dies auch zu Hause ein. Das gilt letztlich auch fürs Kochen.
Würde sich eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes bei der Schulverpflegung von 19 auf 7 Prozent direkt auf die Qualität auswirken?
Bei diesem Thema wird es immer geteilte Meinungen geben. Natürlich wäre es für die Gastronomen von Vorteil, wenn der Mehrwertsteuersatz reduziert werden würde. Nicht umsonst wird häufig gefragt, warum es in der Hotellerie mit den 7 Prozent klappt, nicht aber in der Gastronomie.
Sie haben selbst zwei Söhne. Wie können Eltern das Bewusstsein für gesunde Ernährung bei ihren Kindern schärfen?
Es ist sicherlich sinnvoll, Kinder immer wieder zu ermutigen, Lebensmittel auszuprobieren, die sie zuvor noch nie gegessen haben. Im Idealfall erzählen sie dann ihren Mitschülern davon, tragen die eigene Begeisterung weiter und sorgen so letztlich dafür, dass andere das Gleiche tun. Dass es als Elternteil nicht einfach ist, nach einem langen Arbeitstag eine ausgewogene Mahlzeit auf den Tisch zu kriegen, die obendrein der ganzen Familie schmeckt, steht außer Frage. Umso wichtiger ist es deshalb, dass man die Ernährung auf gemeinsame Beine stellt und das Kochen buchstäblich zum allabendlichen Event wird.
Fettleibigkeit ist die Volkskrankheit Nummer eins in den Industrieländern. Wie können wir dem entgegenwirken?
Ich kämpfe nicht nur dafür, dass zu Hause wieder mehr gekocht wird. Ich kämpfe auch dafür, dass in Schulen ein einheitliches Fach zum Thema „Ernährung und Bewegung“ etabliert wird – und zwar von der ersten bis zur letzten Jahrgangsstufe. Es muss sichergestellt werden, dass Kindern praxisnah, verständlich und unterhaltsam vermittelt wird, worauf es bei gesunder Ernährung ankommt und wie sie diesem Anspruch im Alltag gerecht werden können. Die Spätfolgen falscher Ernährung, die heute bereits bei vielen kleinen Kindern abzusehen sind, kann keine Krankenkasse der Welt bezahlen. Wenn wir wollen, dass unser Gesundheitssystem in 20 Jahren noch leistungsfähig ist, müssen wir so schnell wie möglich handeln.
Bedeutet das, dass der Bezug zu gesunden Lebensmitteln in den vergangenen Jahren immer stärker verloren gegangen ist?
Dass wir vor 40 Jahren mehr als das Vierfache für Essen und Trinken ausgegeben haben, als das heute der Fall ist, sollte uns allen zu denken geben. Nicht umsonst hat der Deutsche weltweit den Ruf, keinen Wert auf frische Lebensmittel zu legen. Überall auf der Welt gibt es tolle Produkte, nur bei uns gibt’s – überspitzt formuliert – den letzten Schrott.
Noch vor ein paar Jahren hätten die wenigsten Menschen etwas mit Begriffen wie Urban Gardening, Unverpackt-Supermärkten oder Lebensmittelrettern anfangen können. Sind wir vielleicht doch auf dem richtigen Weg, uns dem Thema Lebensmittel wieder bewusst anzunähern?
Wir sind nicht auf dem richtigen Weg, denn der Großteil der Deutschen hat’s einfach versaut! Wenn es die Generation Z nicht gäbe, die genau weiß, was sie haben möchte, die arbeitet, um zu leben und nicht umgekehrt, hätten wir ganz sicher keine Chance, das Ruder nochmals herumzureißen. So bleibt ein Funke Hoffnung, dass tatsächlich ein Prozess des Wandels stattfindet.
Lange Jahre waren Sie Koch im Restaurant, danach haben Sie den Weg des Caterers, Fernsehkochs und Beraters eingeschlagen. Welche Rolle ist das beste Sprachrohr, um den Nachhaltigkeitsaspekt voranzutreiben?
Es kommt nicht auf die Rolle an, sondern auf die Einstellung. Gerade vorhin war ich noch beim Einkaufen. Sämtliche Verpackungen habe ich im Laden gelassen. Da fängt es an. Davon abgesehen gilt: Wer in der Öffentlichkeit steht und das Maul nicht aufmacht, soll wieder gehen. Denn diese Menschen, und da zähle ich mich bewusst dazu, haben alle die Pflicht, unbequeme Themen anzusprechen.
Gerade im Cateringbereich kann Nachhaltigkeit aufgrund von übriggebliebenem Essen zum Problem werden. Wie kann man dem entgegenwirken?
Indem man beispielsweise ganz klare Absprachen mit dem Kunden trifft – und dementsprechend kalkuliert und produziert. Es muss auch möglich sein, dass nach gewisser Zeit gewisse Dinge ausgehen. Darüber hinaus muss die Gesetzgebung gelockert werden: Über die Jahre wurden Hürden aufgebaut, die in der Praxis unmöglich zu nehmen sind. Bevor Lebensmittel weggeworfen werden, könnte man in jeder Straße für kleines Geld ein Mini-Kühlhaus aufstellen, um auf diesem Weg bedürftige Menschen zu unterstützen. Dass Übriggebliebenes heutzutage nicht einmal mehr an die Tafel weitergegeben werden darf, ist einfach nur traurig.
Können Sie nachvollziehen, warum Mehrweggeschirr beim Catering gegenüber Papp- und Plastiktellern steuerlich benachteiligt wird?
Wer auf Pappe, Plastik und Co. anrichtet, müsste eigentlich das Doppelte an Steuern bezahlen, weil das ein absolutes No Go ist! Davon abgesehen müssen aber auch die Endverbraucher verstehen lernen, warum gewisse Dinge ihren Preis haben. Nur dann wird sich etwas ändern.
Sie treten regelmäßig in TV-Sendungen auf. Wäre das nicht ein ideales Medium, um die breite Öffentlichkeit für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren?
Fernsehen ist in erster Linie ein Vehikel, um die Massen entweder ruhigzustellen oder aufzuregen. Sie können sich gar nicht vorstellen, was bei den Aufzeichnungen der Sendungen alles gesagt wird oder passiert. Was den Produzenten nicht passt, wird einfach rausgeschnitten. Was dem Sender nicht passt, wird nicht ausgestrahlt. Das soll zwar nicht bedeuten, dass es in der TV-Landschaft gar keine Menschen gibt, die Mut zur Meinung haben. Es kommt aber ganz stark darauf an, wie ich mich äußere. Mit der Tür ins Haus zu fallen, bringt in diesem Rahmen einfach nichts.
Wieso sind aber Kochsendungen in Deutschland so beliebt, während die Wertschätzung hochwertiger Lebensmittel doch eher gering ausfällt?
Ganz einfach: Weil es keine Kochsendungen sind, sondern reine Unterhaltungsformate. Wir müssen uns einfach wieder aufs Wesentliche besinnen. Es gibt zum Beispiel immer mehr Köche, die ihr Fachwissen über YouTube weitergeben. Das ist eine Möglichkeit, den Menschen ungefiltert zu vermitteln, wie man sinnvoll mit Lebensmitteln umgeht und vernünftig kocht.
Mit Ihrer Beratungsfirma helfen Sie Gastronomen, die eine positive Veränderung ihres Betriebes wünschen. Gilt Nachhaltigkeit im Gastgewerbe inzwischen als Wettbewerbsvorteil?
Absolut. Dazu muss man jedoch wissen, dass es kaum eine Berufsgruppe gibt, die beratungsresistenter ist als Gastronomen und Köche. Es fängt bereits damit an, dass es extrem schwierig ist, die Leute für zwei Tage aus dem Betrieb rauszuholen, weil sie meinen, es geht ohne sie nicht. Daran erkennt man bereits, dass der Fehler im System liegt. Wir müssen dahin kommen, dass auch kleine Wirtschaften so geführt werden wie ein großes Industrieunternehmen. Wenn ich keine Jahreszielplanung mache, keine vernünftigen Strukturen habe, dann werde ich es in Zukunft wahnsinnig schwer haben. Deswegen müssten gezielt Seminare angeboten werden, die sich genau diesen Themen widmen. Es gäbe aber auch eine radikale Lösung, dann ginge es uns allen wieder gut.
Und zwar?
Alle Gastro-Betriebe müssten sich solidarisieren und drei Tage lang nichts mehr servieren. Dann würde das Land Kopf stehen, danach werden die Preise verdoppelt, dann würden die Leute eine Woche lang maulen, doch am Ende wäre schließlich alles völlig legitim. Aber so weit muss es ja gar nicht kommen. Viel besser wäre es, wenn wir alle – Branchenvertreter, Verbände und Politik – lernen, einander besser zuzuhören und aufeinander zuzugehen.
ZUR PERSON
Stefan Marquard (Jahrgang 1964) ist in Volkach geboren und aufgewachsen. Nach einer abgeschlossenen Metzgerlehre absolvierte er eine Ausbildung zum Koch im Hotel „Rebstock“ in Würzburg. Es folgten wichtige Stationen in verschiedensten Häusern, wie zum Beispiel dem „Grauen Haus“ oder den „Schweizer Stubn“, die zu den besten Restaurants Deutschland zählten. Nach einem Jahr kulinarischer Reise durch Italien eröffnete er mit Adalbert Schmidt das „Taverna la vigna“, das sich nach kürzester Zeit zum besten italienischen Restaurant im deutschsprachigen Raum entwickelte. m1991 eröffnete er sein erstes eigenes Restaurant – das „Drei Stuben“ in Meersburg – und erarbeitete sich einen Michelin- Stern und 18 Punkte im Gault-Millau. Seit 2003 betreibt er mit seinem langjährigen Freund und Partner Wolfgang Weigler „Stefan Marquards Eventcatering“. Zusammen mit seinem Team verköstigt er mittlerweile ganz Europa mit seiner experimentellen Küche.