err Witzigmann, wenn Sie wieder am Anfang Ihrer Kochkarriere stünden, was würden Sie heute – rückblickend – anders machen?
Der Blick zurück ist immer eine hilfreiche Perspektive, vor allem, wenn man die notwendigen Konsequenzen daraus zieht. Ich würde nicht sehr viel anders machen, jedoch versuchen, Ziele schneller zu erreichen.
Sie haben viele Kochkulturen, Esstraditionen und Restaurants rund um die Welt kennengelernt. Haben Sie hier bestimmte Favoriten?
Ich war und bin immer offen für Neues, Unbekanntes, fast krankhaft wissbegierig. Deshalb hat es für mich auch eine gewisse Logik, sich nicht festzulegen, sich immer wieder von Neuigkeiten überraschen zu lassen. Festgelegte Meinungen engen da immer etwas ein.
Wie sieht es mit der bayerischen Wirtshauskultur aus? Wo liegen deren Stärken?
In einem kurzen Satz zusammengefasst: Der ging es schon mal besser. Aber das hat mannigfaltige Gründe, da spielen sehr unterschiedliche Faktoren eine Rolle.
Gibt es etwas Unverwechselbares, was die bayerische Wirtshaustradition von der anderer Regionen unterscheidet?
Das liegt sicher im Auge des jeweiligen Betrachters. Jede Region – nicht nur in Deutschland – hat eigene Traditionen und spezifische Facetten. Auch bei den Dingen, die unter den Begriff Essen und Trinken fallen. In Bayern hat sich im Lauf der Zeit etwas sehr Eigenständiges entwickelt, aber wir müssen erst einmal konstatieren, dass es viele regionale, manchmal sogar lokale Traditionen gibt. Und einige kristallisieren sich dann mit der Zeit heraus und werden auch außerhalb der Region zu einem Begriff und populär.
Auch wenn es schwer ist zu pauschalisieren: Welche Schwächen oder gar Risiken sehen Sie bei der bayerischen Wirtshauskultur?
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das nicht nur in Bayern, sondern in fast allen Regionen ein Problem ist. Aber im Lauf der Jahrzehnte haben sich Proportionen verschoben, heute geht man eben auch zum Italiener, Griechen oder Türken essen und der Street-Food-Run ist auch nicht unbedingt ein Weg, die bayerische Wirtshauskultur neu zu beleben.
Wie kann man Ihrer Meinung nach dem Wirtshaussterben in den ländlichen Regionen entgegenwirken?
Ich kann Ihnen da auch keine Patentrezepte liefern, im Höchstfall eine gesicherte Ahnung. Wichtig ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, die Originalität muss immer erhalten bleiben. Nichts würde ich für schlimmer halten, als die Kernkompetenz aufzugeben. Nachjustieren muss man sicher bei den Dingen, die Qualität und Zubereitung des Essens anbelangen. Qualität hat ihren Preis, deshalb ist ja auch der Preiskampf bei den Mittags-Menüs eine Sackgasse. Und dann muss man auch versuchen, die jüngeren Generationen wieder einzufangen und nicht nur Trachten- und Schützenvereine. Ich bin mir im Klaren, dass reden hier recht einfach ist, die Problematik liegt sicher in der praktischen Umsetzung.
Unsere Essgewohnheiten haben sich in den vergangenen Jahren stark geändert. Essen im Stehen und Gehen oder Speisen vom Discounter werden sogar steuerlich gefördert. Sehen Sie hier eine Fehlentwicklung?
Die Änderungen innerhalb gesellschaftlicher Umwälzungen sind nicht immer Fehlentwicklungen, haben aber manchmal dramatische Folgen. Als die ersten Fast-Food-Restaurants in den 70er-Jahren eröffnet haben, wurde milde gelächelt, und als ich 1971 im „Tantris“ an den Herd ging, haben die Münchner Platzhirsche unserer neuen Art zu kochen nur wenige Wochen Überlebenszeit gegeben. Heute wird schneller als je zuvor eine neue Sau durchs Dorf getrieben und das Neue ist immer erst einmal interessant und toll. In Sachen Wirtshauskultur muss deshalb die Kernkompetenz erhalten und zugleich modifiziert werden. Klingt einfach, ist aber in der Praxis ein Ritt über den Bodensee.
Im Gegensatz zu früher müssen Köche immer mehr dokumentieren, kennzeichnen und Statistiken ausfüllen; mittlerweile sind es durchschnittlich 13 Stunden pro Woche. Gäbe es hier einen Wunsch von Ihnen an die Politik?
Der Wirt ist heute mehr mit der Buchhaltung und Listenführung beschäftigt, als sich um seine Gäste zu kümmern. Der Staat und die EU organisieren da manches zu Tode, die Vorschriften und Verordnungen wachsen wie Pilze aus dem Boden, verbunden mit einem gewaltigen Mehraufwand für die Betriebe. Ich kann da ein aktuelles Beispiel aus meinem Bereich schildern: Für die Zeitschrift „Bunte“ liefere ich wöchentlich Rezepte für meine Kolumne und koche die erst einmal, bevor diese niedergeschrieben und veröffentlicht werden. Bei einer Steuerprüfung hat sich jetzt aber herausgestellt, dass ich das nicht in meiner eigenen Küche, sondern in einer neuen, separierten Küche machen muss, um das von meinem privaten Bereich klar abzugrenzen.
In Deutschland gilt eine tägliche Höchstarbeitszeit, die EU hingegen sieht eine wöchentliche Höchstarbeitszeit vor, um Arbeitsspitzen an bestimmten Tagen besser abfedern zu können. Als jemand, der in unglaublich vielen Ländern gearbeitet hat: Was wäre für Sie der richtige Weg?
Ich glaube, wir müssen uns daran gewöhnen, dass vielen Menschen ein pünktlicher Feierabend und ein geregeltes Wochenende wichtiger sind als berufliches Fortkommen. Das verstehe ich nicht ganz, aber wir müssen das akzeptieren. Nicht verstehe ich jedoch, dass die Leute, die mehr und länger arbeiten wollen, das nicht dürfen, und der Arbeitgeber penibel auflisten muss, wer wann kommt und geht. Gerade in der Gastronomie ist das ein gewaltiger Pferdefuß und wächst sich zu einem riesigen Problem aus.
Gibt es spezielle Tipps, die Sie jungen Berufseinsteigern gerne auf den Weg geben würden?
Das Wichtigste ist, auf der Spur zu bleiben, sich nicht vom Weg abbringen zu lassen. Gegenwind und Enttäuschungen sind häufig in diesen Jobs, da sollte man sich nicht zu schnell unterkriegen lassen, wenn man es wirklich ernst meint. Der Lehrberuf Koch hat im Moment die höchste Abbrecher-Quote, wahrscheinlich will jeder Fernsehkoch werden und nicht einen ganzen Tag lang Saucen reduzieren.
Die „New York Times“ hat Sie mit dem Titel „Koch der Könige und Götter“ geehrt, weil Sie für viele gekrönte Staatsoberhäupter gekocht haben. Gibt es ein Erlebnis, das Sie nie vergessen werden?
Ich habe in meinen Leben so zahllose, tolle Momente erleben dürfen, da möchte ich keinen einzigen herausgreifen. Neben Ihrer Zeit in der Küche haben Sie mit Sicherheit auch mehr Zeit als Gast in Hotels und Restaurants verbracht, als die meisten Menschen mit einem „etwas normalerem Job“.
Können Sie sich denn auch noch an Ihr schönstes Wirtshauserlebnis erinnern?
In meinem Fall war es kein Wirtshaus, sondern genauer gesagt eine Skihütte in Österreich. Da gab es eine wunderbare Linsensuppe und Live-Musik. Ich rätsele bis heute, wie ich da anständig ins Tal zurückkam.
Nach welchen Kriterien suchen Sie ein Restaurant aus?
Ganz ehrlich: Ich werde so häufig eingeladen, da habe ich wenig Einfluss auf die Wahl des Restaurants.
Hand aufs Herz, bei welchen Speisen können Sie schwerlich „nein“ sagen?
Vor allem bei kleinen Versuchungen nebenher: Ein Stück Salami, Kaminwurzen oder Käse bringen meine Vorsätze schnell zum Wanken.
Gibt es auch ein absolutes Lieblingsessen?
Ein Lieblingsessen im klassischen Sinne habe ich nicht, das hängt bei mir immer davon ab, in welchem Winkel der Welt ich mich gerade befinde und wie mein Gemütszustand so gerade ist.
Gibt es auch ein Lieblingsrezept?
Rezepte sind wie die eigenen Kinder, da sollte man keines lieber mögen als das andere.
Haben Sie auch einen Favoriten bei den Getränken?
Perfekt gekühlter Champagner!
Sie wohnen viel in Hotels. Worauf legen Sie bei der Auswahl eines Hotels immer besonders viel Wert?
Man sollte ruhig schlafen können, da ist mir ein stilles Zimmer im Drei-Sterne-Hotel lieber, als ein Blick auf die Hauptverkehrsstraße im hochdekorierten Grand-Hotel. Und ein tolles Restaurant im Haus macht jeden Aufenthalt perfekt.
Zur Person
Der Österreicher Eckart Witzigmann, 1941 geboren, wurde in den besten Häusern der Welt ausgebildet und von den Besten seines Faches gefördert. Paul Bocuse, Paul Simon, Roger Vergé, die Brüder Troisgros und besonders Paul Haeberlin haben sein außergewöhnliches Talent erkannt und ihn bei seiner einzigartigen Karriere unterstützt. Neben seinen Aufenthalten in Frankreich sammelte Witzigmann internationale Erfahrungen in den renommiertesten Häusern der Welt. Er verbrachte insgesamt 13 Jahre im Ausland, bevor er sich 1971 daran machte, mit dem Münchner „Tantris“ die deutsche Kochkultur zu revolutionieren. 1978 eröffnete Witzigmann sein eigenes Lokal „Aubergine“ in München, das ein Jahr später als erstes Restaurant in Deutschland mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Parallel dazu begann eine beispiellose Karriere als Berater rund um den Erdball: Unter anderem konzipierte er ein Restaurant und eine Kochschule auf Mallorca und für die japanische Juchheim-Gruppe eröffnete er ein Restaurant in Tokio. Im Jahr 2002 startete Witzigmann ein neues Projekt, das zeitweise 150.000 begeisterte Besucher pro Jahr verzeichnet: Der „Eckart Witzigmann Palazzo“ und das Anschlussprojekt, der „Witzigmann-Roncalli-Bajazzo“, gastierte in München, Hamburg, Köln, Frankfurt und Düsseldorf und wird bis heute immer wieder kopiert.