D
er kontinuierliche Austausch mit benachbarten Tourismusverbänden zählt für DEHOGA Bayern-Präsidentin Angela Inselkammer zu einer Selbstverständlichkeit. Schließlich lassen sich gemeinsame Problemstellungen und Herausforderungen „mit vereinten Kräften“ stets besser lösen lassen als im Alleingang. Darüber hinaus zeigt sich im persönlichen Gespräch auch manchmal, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung der eigenen Gegebenheiten bisweilen auch ein wenig auseinandergehen. Im letzten Gespräch zwischen DEHOGA Bayern-Präsidentin Angela Inselkammer mit Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung und Manfred Pinzger, Präsident des Hoteliers- und Gastwirteverbands (HGV) in Südtirol, durfte die Gastgeber Bayern-Redaktion dabei sein.
Angela Inselkammer: Lieber Manfred, lieber Walter, es freut mich sehr, dass ihr euch für diesen Austausch Zeit genommen habt. Wir stehen ja ohnehin in regelmäßiger Verbindung – nicht zuletzt da wir eine gemeinsame „Tourismus-Großregion“ bespielen. Dennoch ist vieles grundsätzlich unterschiedlich in unseren Ländern. Lasst uns zu Beginn doch einen Blick auf den derzeitigen Stand der Branche werfen. Wir alle waren sehr gebeutelt durch die Corona-Krise. Wie steht es um das Gastgewerbe in Österreich und in Südtirol? Ist denn der Vorkrisenstand schon wieder erreicht oder wird nach den Jahren der Entbehrungen vielleicht sogar mehr Urlaub gemacht als zuvor? Wie schätzt ihr die Lage ein?
Manfred Pinzger: Wir beobachten durch die Corona-Krise schon eine gewisse Veränderung, auch und gerade im ländlichen Raum. Das bezieht sich vor allem auf den Besuch der Gasthäuser, der noch immer deutlich hinter dem Vor-Corona-Niveau liegt. Etliche Leute, die in der Pandemie zuhause geblieben sind, tun das auch weiterhin und kommen nicht zurück in die Gaststätten, das ist sicher festzustellen. Gleichzeitig entwickelt sich der Tourismus generell sehr gut. Auch die abgeschlossene Wintersaison lief gut. Dabei haben wir den Vorteil, dass viele unserer Betriebe die erzwungene „Corona-Pause“ dazu genutzt haben, um Ihre Betriebe größtenteils auf Vordermann zu bringen – die Betonung liegt dabei natürlich auf größtenteils. Trotz gestiegener Preise – gerade im Spitzensegment – haben wir immer noch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis vorzuweisen. Darüber hinaus profitieren wir natürlich von zwei Urlaubssaisonen – unsere Gäste kommen im Sommer wie im Winter.
Angela Inselkammer: Konnten denn die südtiroler Gastwirte in den Krisenjahren so gezielt in die Sanierung ihrer Gebäude investieren, weil es staatliche Förderungen gab?
Manfred Pinzger: Nein – das kann man nicht sagen. Bis vor etwa 15 Jahren gab es aus meiner Sicht tolle Subventionen für die Branche. Doch die sind zwischenzeitlich nahezu alle abgeschafft. Es gibt lediglich noch eine Förderung für Kleinstbetriebe bis 500.000 Euro Umsatz. Für alle anderen gibt es seit mindestens zehn Jahren keine nationalen Förderungen mehr. Auf EU-Ebene gab es die ein oder andere Hilfe, das Land (Italien – Anm. d. Red.) hat sich bei uns aber sehr zurückgehalten.
Angela Inselkammer: Walter, wie sieht es in Österreich aus, nach den harten Jahren der Corona-Pandemie?
Walter Veit: Um einmal mit den positiven Dingen anzufangen, auch bei uns gilt natürlich: Wir müssen unterscheiden zwischen der Hotellerie und der Gastronomie. Der Hotellerie geht es grundsätzlich gut – wir sind an vielen Stellen bereits wieder auf dem Niveau vor der Corona-Pandemie 2019, punktuell sogar schon darüber. Auch unsere Betriebe haben die Corona-Phase zu Sanierungen und Renovierungen genutzt und sind im Großen und Ganzen in einem sehr guten Zustand. Wir stellen fest, dass in der Zeit nach Corona die Nachfrage nach kleinen Appartements wieder zugenommen hat. Einige kleinere Betriebe konzentrieren sich seither gezielt darauf. Bei der Gastronomie machen wir dieselbe Beobachtung, wie unsere Kollegen in Italien – die Branche ist sehr geplagt: Die Leute gehen früher nach Hause oder bleiben ganz dort. Wenn sie kommen, geben sie tendenziell weniger Geld aus als vor der Krise – es hat den Anschein, als hätten sie weniger Geld übrig. Für den Urlaub reicht es augenscheinlich noch, aber den Besuch in der Gaststätte spart sich wohl gerade so mancher. Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Zulieferer. So weiß ich beispielsweise auch von den burgenländischen Winzern, dass die Verkaufszahlen an die Gastronomie teilweise um 15 bis 20 Prozent eingebrochen sind. Insofern lässt es sich schon auf diesen Nenner bringen: Die Hotellerie hat es geschafft, die Gastronomie schwächelt noch immer.
Angela Inselkammer: Wie empfindet ihr es denn, im Rahmen eurer regionalen Bindungen doch auch ein Teil der EU zu sein? Wo liegen die Vorteile und an welchen Stellen müsste aus eurer Sicht nachgebessert werden?
Manfred Pinzger: Nun ja, bei uns ist das so: Die Europäische Union ist zum einen weit weg und zum anderen müssen die Europäischen Vorgaben ja noch auf das „italienische Maß“ angepasst und in die nationale Gesetzgebung übertragen werden… Angela Inselkammer: (lacht) Was heißt das denn? Wir in Deutschland neigen ja durchaus zur „Übererfüllung“ europäischer Standards. In Deutschland werden die Vorgaben aus der EU erfahrungsgemäß um etwa ein Drittel verschärft – was ist denn das „italienische Maß“?
Manfred Pinzger: Übererfüllung ist nicht unsere Sache (lacht). Ich war selbst für einige Jahre Teil der zuständigen Kommission in Rom und habe die Erfahrung gemacht, dass wir die Vorgaben meist sozusagen „all‘italiana“ – also „auf italienisch“ – umgeschrieben haben. Natürlich müssen die konkreten Pläne dann zurückgesandt und von der EU gutgeheißen werden, aber verschlechtert haben wir die Maßnahmen auf nationaler Ebene nie – eher im Gegenteil. Und das ist heute noch so.
Angela Inselkammer: Das klingt irgendwie gescheiter als der deutsche Weg… Wie steht es denn in Österreich, Walter?
Walter Veit: Tja (lacht) – da können wir die Italiener nur beneiden. Wir sehen erst einmal zu, was Deutschland macht und orientieren uns an 120 Prozent, getreu dem Motto: „Wenn Deutschland 120 Prozent macht, müssen von uns mindestens 110 Prozent kommen.“ „Gold-Plating“ ist auch in Österreich ein großes Thema. Unsere Regierung hat erst kürzlich verkündet, dass sie von dieser Übererfüllung von Standards abkommen und „nur noch“ 100 Prozent der Vorgaben erfüllen will. Aus meiner Sicht liegt das Problem aber auch darin begründet, dass Problemstellungen auf EU-Ebene von den Mitgliedsstaaten auch gerne einmal liegengelassen werden. Derartige Themen sind ja auch oft ein wenig spröde und unpopulär. Irgendwann laufen dann die Fristen ab, ein Gesetz tritt in Kraft und alle beschweren sich über die Folgen. Länder, die rechtzeitig agieren und kritisch auch eventuelle andere Umsetzungswege prüfen, sind hier klar im Vorteil. Vielleicht macht das Italien auch ein wenig geschickter als Deutschland und Österreich.
Angela Inselkammer: Wir alle profitieren ja enorm von der EU – von der Freizügigkeit, der Friedens- und Freiheitssicherung, den freien Arbeitsverhältnissen. Und gleichzeitig kommen dann doch die ein oder anderen Verordnungen, bei denen man sich fragt, was das mit unserer täglichen Praxis zu tun hat – ein aktuelles Beispiel ist das jüngst beschlossene Lieferkettensorgfaltsgesetz …
Walter Veit: Absolut – oder die ESG-Verordnung. Auch wenn es heißt, es betrifft im Grunde „nur“ große Betriebe, so wirken sich grundsätzliche Regulierungen immer auch auf die gesamte Branche aus. Hier wird aus meiner Sicht zu viel „vom Großen in´s Kleine“ gedacht. Gleichzeitig sind aber zahlreiche Vorzüge der EU – von denen auch und gerade der Tourismussektor profitiert – für uns alle selbstverständlich. Sei es der Euro, mit dem quer durch Europa bezahlt werden kann, die Reisefreiheit für vorhandene sowie potenzielle Fachkräfte und nicht zuletzt die Reduzierung gesetzlicher Barrieren auf dem europäischen Arbeitsmarkt.
Angela Inselkammer: Die Angehörigen des Gastgewerbes in Deutschland blicken ja in so mancher Hinsicht neidvoll nach Österreich. Schließlich sind die Rahmenbedingungen bei euch doch in mancherlei Hinsicht deutlich günstiger, als bei uns in Deutschland – Stichworte wären die Mehrwertsteuer, bessere Einkommensregelungen und größere Freizügigkeiten. Wie empfindet ihr das?
Walter Veit: Wir sehen das genau umgekehrt … (lacht) Die Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland war für Euch natürlich ein schwerer Schlag – das versteht ja auch kein Mensch. Trotzdem ziehen wir natürlich – auch hier – den ein oder anderen Vergleich mit Deutschland. Seien es Großhandelspreise, Einzelhandelspreise, Energiepreise – all das belastet den österreichischen Markt deutlich mehr als den deutschen. Und nicht zuletzt der Arbeitsmarkt ist offener – Deutschland ist beispielsweise über die Fachkräfteverordnung und die damit verbundenen Möglichkeiten, bei Bedarf Ersatzkräften zuzuholen, deutlich besser aufgestellt als wir. Wir brauchen Kontingente und haben Genehmigungszeiten von einem halben Jahr – da hat sich die entsprechende Saison meist schon wieder erledigt. Kürzlich hat uns eine renommierte Expertin ausgerechnet, dass Österreich aufgrund der nicht vorhandenen Arbeitskräfte im Tourismussektor jährlich Einnahmen in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro verloren gehen. Das ist Geld, das Touristen vor Ort nicht ausgeben können und das sie wieder mit nach Hause nehmen, da schlicht kein Eisverkäufer, kein Restaurantbetreiber oder kein Koch da ist, der die Leistung erbringt, welche die Gäste auch gerne bezahlen würden – das ist schon ein großes Problem. Bei euch sicher auch, Manfred…
Manfred Pinzger: Absolut, der Fachkräftemangel ist auch bei uns ein großes Thema. Das liegt bei uns unter anderem auch daran, dass wir aus steuerlichen Gründen große Probleme haben, Mitarbeiterbeiterunterkünfte zu errichten. Es gibt zwar tolle Hotelfachschulen in Südtirol, aber die Absolventen verbleiben nicht immer in diesem Bereich. Gleichzeitig sind auch die derzeitigen – aus meiner Sicht absolut unseriösen – Diskussionen zum Thema „Overtourism“ nicht förderlich, um weitere Fachkräfte für uns zu begeistern. Damit haben wir derzeit auch in der öffentlichen Wahrnehmung große Probleme.
Angela Inselkammer: Wie steht es denn um die Tourismus-Akzeptanz in Österreich?
Walter Veit: Grundsätzlich gut – die Akzeptanz ist ein wenig zurückgegangen. Mit einem Rückgang von 78 auf 76 Prozent ist die Unterstützung für den Tourismus aber noch immer breit in der österreichischen Gesellschaft verankert. Wir müssen die Ströme sicherlich ein wenig entzerren, aber wir arbeiten stets an Optimierungen, um auch den Rückhalt in der Gesellschaft weiter aktiv zu fördern. So arbeiten wir derzeit beispielsweise an einer Datenerfassung in Echtzeit via Handydaten, um zeitnah und situationsbezogen auf große Touristenströme reagieren zu können.
Angela Inselkammer: Um zum Abschluss noch einen kleinen Blick in die Zukunft zu werfen: Was meint ihr: Wo geht die Reise im Tourismus hin und wie können wir die Attraktion unserer Länder in der öffentlichen Wahrnehmung noch weiter stärken?
Manfred Pinzger: Grundsätzlich bin ich überzeugt davon, dass sich im Alpenvorraum – sei es in Bayern, Österreich oder Südtirol – auch weiterhin hochwertiger Qualitätstourismus betreiben lässt. Wir verfügen über tolle regionale Produkte verbunden mit einer schönen und großartigen Landschaft. Ich habe überhaupt keine Angst um die Zukunft für unsere Tourismusregion. Allerdings müssen die Rahmenbedingungen stimmen: Die derzeit enorme Zinslast sowie verhältnismäßig hohe Löhne und Lohnnebenkosten sind beispielsweise große Belastungen. Um diese Bedingungen zu verbessern, müssen wir auch weiterhin gemeinsam an einem Strang ziehen. Auch, um der kommenden Generation Mut zu geben, sich in unserer schönen Branche zu engagieren.
Walter Veit: Das sehe ich genauso – ich glaube, ein überregionaler Austausch ist ein zentraler Baustein, um unsere gemeinsamen Ziele weiter voranzutreiben. Dabei steht der Begriff der Regionalität für mich auch inhaltlich im Zentrum. Auch bei uns gibt es den bekannten „Schrobenhausener Spargel“ – warum zuerst dazu gegriffen wird, als zum Salzburger Spargel, ist schon eine spannende Frage. Regionalität ist eines der Schlüsselworte für den künftigen Erfolg im Tourismus. Auch vom vielzitierten Klimawandel werden wir aus unserer Sicht eher profitieren, wenn es nicht zu heiß und zu extrem wird. Lohnkosten, Energiekosten, die derzeit noch immer hohe Zinslast, all das sind natürlich Herausforderungen, die uns voraussichtlich noch lange beschäftigen werden. Die Margen sind in den vergangenen Jahren deutlich geringer geworden. Das macht – neben unserem Engagement auf Verbandsebene – natürlich auch eine weitsichtige Unternehmensausrichtung aller unserer Mitglieder unausweichlich.
Angela Inselkammer
Nach ihrer Mitarbeit im familieneigenen Brauereigasthof Hotel Aying und der Gesellenprüfung zur Hotelfachfrau (IHK München) hat Angela Inselkammer Anfang 1994 die Leitung des Brauereigasthofs übernommen. Seit 2001 ist sie Geschäftsführerin der Brauerei Aying Franz Inselkammer GmbH und der Brauereigasthof Verwaltungs-GmbH. Ihre Karriere beim DEHOGA Bayern begann Inselkammer in der Funktion als stellvertretende Vorsitzende des Berufsbildungsausschusses. Von 2010 bis 2016 wurde sie erste Vizepräsidentin des DEHOGA Bayern. Seitdem ist Angela Inselkammer Präsidentin des DEHOGA Bayern. Zudem ist sie Mitglied in zahlreichen Gremien wie dem Verwaltungsrat der Bürgschaftsbank Bayern GmbH.
Manfred Pinzger
Manfred Pinzger ist seit 2013 Präsident des Hoteliers- und Gastwirteverbands (HGV) Südtirol. In dieser Funktion ist er zugleich Vorstandsmitglied der gesamtstaatlichen Federalberghi (vergleichbar mit dem DEHOGA in Deutschland) und wirkt dort auch als deren Vizepräsident. Seit 2016 ist Pinzger zudem Mitglied der Hotrec, dem Europäischen Dachverband des Gaststättenwesens, und seit 2020 Mitglied im Verwaltungsrat der staatlichen Confcommercio, der Dachorganisation der italienischen Handels- und Gastronomieverbände. Auch dort hat er die Funktion des Vizepräsidenten inne. Seit Februar 2023 ist Pinzger zudem Mitglied des Direktionsausschusses der nationalen Fipe, der Dachvereinigung der Restaurant- und Barbetreiber. Zwischen 2006 und 2009 vertrat er die Interessen Südtirols als Mitglied des Europarats in Straßburg sowie als Mitglied der Versammlung der Westeuropäischen Union in Paris.
Walter Veit
Nach seiner Matura an der HTL Mödling arbeitete Walter Veit zuerst in der elterlichen Tischlerei, bevor er Geschäftsführer des „Hotel Enzian“ wurde. Einige Jahre später stieg er in die Geschäftsführung beider Betriebe ein und wurde deren alleiniger Eigentümer. Nachdem sich Veit von 2004 bis 2014 als Landesvorsitzender Salzburg und Vizepräsident der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) engagiert hatte, fungiert er seit Anfang 2022 als deren Präsident. Zudem ist Veit unter anderem Mitglied in diversen Aufsichtsräten und ist als stellvertretender Fachgruppenobmann Hotellerie bei der Wirtschaftskammer Salzburg tätig.