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s geht um weit mehr als nur um Steuerrecht: Ein kürzlich veröffentlichtes Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) bedroht das Herzstück vieler Familienbetriebe – die Möglichkeit, das Lebenswerk an die nächste Generation weiterzugeben. Besonders im Beherbergungsgewerbe könnten die neuen Regelungen dramatische Folgen haben und das Aus für zahlreiche Hotelbetriebe bedeuten. In seinem Kommentar erklärt der Jurist und Experte für Unternehmensteuerrecht Prof. Dr. Karl-Georg Loritz, wie tiefgreifend die Auswirkungen dieses Urteils sind und warum der Gesetzgeber jetzt dringend handeln muss.
Der für das Erbschaftsteuerrecht zuständige 2. Senat des BFH hatte zu entscheiden, ob ein Unternehmen mit einem (an den Erben) verpachteten Parkhaus und einer drittverpachteten Tankstelle erbschaftsteuerlich begünstigtes Unternehmensvermögen darstellte (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Der 2. Senat lehnte das ab und nahm nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen an. Er hätte sich, wenn er schon dieses Ergebnis wollte, auf die Feststellung beschränken können, verpachtete Betriebe seien nicht begünstigungsfähig. Das wäre meiner Einschätzung nach zwar falsch gewesen, hätte aber dem Gebot richterlicher Zurückhaltung entsprochen. Gerichte haben sich bekanntlich auf die Entscheidung des konkreten Falles zu beschränken.
Der Senat wollte ersichtlich darüber hinausgehen. Darum traf er die für den konkreten Fall nicht relevante Aussage, der verpachtete Betrieb sei bereits vor der Verpachtung nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen gewesen. Denn die im Parkhaus befindlichen Parkplätze seien als Grundstücksteile den Parkenden und damit Dritten überlassen worden. Auch eine solche kurz- und langfristige Überlassung stelle eine Nutzungsüberlassung dar.
Nach dem Verständnis des 2. Senats dürfte diese Aussage auch für vermietete Parkflächen von Hotelbetrieben gelten. Wird kein Entgelt für das Abstellen des KFZ auf dem Hotelgelände verlangt, dann ist es Teil des Gesamtpakets der Beherbergung. Das dürfe der 2. Senat dennoch als eine Überlassung an Dritte verstehen, was möglicherweise auch für die unentgeltliche Überlassung von Parkplätzen an Restaurantbesucher gelten könnte.
Die zentrale Frage ist: Geht der 2. Senat sogar so weit, die „Überlassung“ der Zimmer als die zentrale Leistung der Hoteliers, von der Begünstigung auszunehmen? Darauf deutet seine Bemerkung hin, es reiche nicht aus, wenn die Nutzungsüberlassung „zusammen mit einem Bündel an gewerblichen Leistungen“ erfolge. Meiner Ansicht nach ist es ein völlig realitätsfernes Verständnis des Hotel- und Gastronomiegewerbes, Übernachtungen als Überlassung eines Teilgrundstücksteils an einen Dritten zu qualifizieren. Denn Hoteliers, Gastwirte und Pensionsbetreiber nehmen die Gäste in ihr Haus auf, um ihnen für die Dauer des Aufenthaltes Wohnen, Übernachtung und Nutzung zu gestatten. Im Regelfall wird zumindest das Frühstück angeboten. PKW-Abstellmöglichkeiten gehören dazu und werden von den Kommunen baurechtlich verlangt. Anders als bei Vermietung und Verpachtung von Wohn- und anderen Räumen, wird nicht der Besitz in die Hände eines Dritten gegeben, der sich darum zu kümmern hat. Vielmehr zahlt der Gast Entgelt für die Möglichkeit zur Nutzung der Immobilie des Beherbergungsbetriebs.
Das Urteil zerlegt meiner Meinung nach gezielt künstlich eine einheitliche Dienstleistung, um die Begünstigung versagen zu können. Das überschreitet die Grenze der Gesetzesinterpretation und ist Rechtspolitik, zu der ein Gericht nicht befugt ist. Diese Interpretation ist auch aus weiteren Gründen verfassungswidrig.
Der 2. Senat hat in diesem Fall, ebenso wie in der Entscheidung vom 13. September 2023 zum sog. „90 %-Eingangstest“, keine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemacht. Im dortigen Fall hat der Senat, um selbst entscheiden zu können, gegen den klaren Gesetzeswortlaut entschieden. Das mag die Praxis im Sinne der Effektivität erfreuen, ist aber von der Verfassung so nicht vorgesehen. Der 2. Senat geht offenbar in Bezug auf die Verfassung „besondere“ Wege.
Wenn ein Oberster Gerichtshof in seiner Begründung gezielt so weit ausholt wie im vorliegenden Urteil, ist damit zu rechnen, dass der Teil eines Hotels oder Gasthofs, der der Übernachtung und dem Parken dient, von der Begünstigung ausgenommen wird, weil erbschaftsteuerlich als Verwaltungsvermögen qualifiziert wird. Das sind räumlich die größten Teile der Gebäude. Bei dieser Interpretation des Gesetzes werden erst recht Hoteleigentümer komplett von der Begünstigung ausgenommen, deren Hotels mittels eines festen Miet- oder Pachtvertrages betrieben würden. Beim Betreibervertrag wäre es die Rechtslage bestenfalls gleich wie beim Eigenbetrieb.
Der Großteil deutscher Hotels und Gaststätten wird von mittelständischen Eigentümern selbst betrieben. Da Hotelzimmer bekanntlich nach zehn, spätestens 15 Jahren einer umfassenden Renovierung bedürfen und die Zimmereinrichtungen häufig aus der Mode kommen, schmälert der hohe Investitionsaufwand die Renditen erheblich. Kaum ein Familienbetrieb ist in der Lage, zusätzlich so viel zu erwirtschaften, dass das ererbte Barvermögen (nach Zahlung der Erbschaftsteuer) ausreichte, um hohe Erbschaftsteuern auf die zu einem erheblichen Teil nicht begünstigte Hotelimmobilie zu bezahlen. Wir dürfen vor allem nicht außer Acht lassen, dass viele Hotels und Gaststätten beste innerstädtische Lagen mit enorm hohen Bodenpreisen haben. Können sie nicht steuerbegünstigt übertragen werden, sind die Erben zur Veräußerung gezwungen. Wir stehen dann vor einem Ende der deutschen Hotel- und Gastronomiekultur mit ihrer einzigartigen Vielfalt bezüglich Art, Größe und Regionalität.
In dieser Situation ist dringend ein sofortiges Eingreifen des Gesetzgebers geboten; denn ein Nichtanwendungserlass, den wir zusätzlich brauchen, schützt nur eingeschränkt. Der 2. Senat hat das Gesetz so interpretiert, dass das mittelständische Hotel und Gaststättengewerbe für Erbfälle und schenkweise Unternehmensnachfolgen, substanziell in seiner Existenz bedroht ist. Das Urteil ist auch in der Sache falsch. Gehört wie im Beherbergungsgewerbe und bei Parkhäusern zu einer Dienstleistung zwingend die Nutzung von Immobilien durch Dritte, so dürfen nicht deshalb solche Unternehmen erbschaftsteuerlich benachteiligt werden. Der unternehmerisch zwingende Einsatz von Immobilien ist kein verfassungsrechtlich haltbarer Differenzierungsgrund für den Ausschluss ganzer Branchen von einer zentralen steuerlichen Begünstigung. Der Gesetzgeber sollte deshalb diese Fehlentscheidung des 2. Senats des BFH sofort korrigieren. Sicher wird gegen eine solche Rechtsprechung eines Tages auch das Bundesverfassungsgericht abgerufen. Aber bis zu dessen Entscheidung vergingen Jahre und sie käme für viele Betriebe zu spät.
Universitäts-Professor Dr. iur. habil. Karl-Georg Loritz
Univ.-Prof. Dr. iur. habil. Karl-Georg Loritz war bis Oktober 2019 Ordinarius und Inhaber eines Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Steuer- und Arbeitsrecht und Direktor der Forschungsstelle für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht sowie Unternehmenssteuerrecht – Companies, Capital Markets & Taxes (CoCapT) – der Universität Bayreuth. Er ist seit vielen Jahren selbständiger Steuerberater und seit 2020 auch Rechtsanwalt und Partner einer spezialisierten Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei in München.
Nach seiner Promotion an der Universität Konstanz 1978 im Zivilrecht und Zivilprozessrecht und der Ablegung beider juristischer Staatsprüfungen in Regensburg und München wurde er 1983 in den Fächern Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht an der Universität Konstanz habilitiert. Er war bis dahin tätig an den Universitäten Regensburg, Genf und Konstanz sowie in der Steuerabteilung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und am Bundesverfassungsgericht.
Kurz nach der Habilitation folgte der erste Ruf auf einen Lehrstuhl in Berlin im Jahr 1984. Danach nahm er Rufe auf Institute und Lehrstühle in Würzburg, Mainz und Bayreuth an. In der Zeit in Würzburg war er im zweiten Hauptamt auch Richter am Landgericht. 1996 und 1998 war er zusätzlich Professor an der Faculté de Droit der Universität Genf/Schweiz. Einem weiteren Ruf an die Juristische Fakultät der Universität Wien im Jahr 2002 folgte er nicht.
Prof. Loritz war und ist Mitglied in mehreren Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften verschiedener Branchen im In- und Ausland. Er ist Autor zahlreicher Bücher und mehrerer hundert weiterer Publikationen im Zivil-, Steuer-, Kapitalanlage-, Immobilien-, Arbeits-, Prozess- und Verfassungsrecht.
Die Tätigkeiten als Steuerberater, Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Gutachter werden vor allem überregional mit Schwerpunkten in den Bereichen des Gesellschafts-, Wirtschafts- und in den für Unternehmen, vermögenden Privatpersonen und Familien relevanten Bereichen des Steuerrechts ausgeübt.