err Nierhaus, als Trendexperte und vielbereister Branchenkenner sind Sie bestens mit dem Gastgewerbe vertraut. Das Gastgewerbe gilt für viele als schönste Branche der Welt. Warum ist die Herausforderung derzeit dennoch so groß, geeignete Mitarbeiter zu finden und zu binden?
Ja, die schönste Branche der Welt. Sicher, wir haben viele Mitarbeiter, die das mit großem Spaß machen und gemacht haben. Aber letztendlich müssen die Mitarbeiter auch ein gutes Auskommen haben. Und das war in den vergangenen Jahren schon grenzwertig. Insbesondere durch die Pandemie wurde vieles auf den Prüfstand gestellt – seitens der Arbeitgeber aber auch der Arbeitnehmer. Gerade in den Zeiten von Kurzarbeit und Betriebsschließungen stellten sich viele Arbeitnehmer Fragen wie „Ist mein Arbeitsplatz noch sicher? Verdiene ich genug? Geht man fair mit mir um?“ Das hat sicherlich einige zur beruflichen Umorientierung bewogen. Zudem haben wir in Deutschland eine Situation, in der es dem Mittelstand – also dem Gastronom und Hotelier aber auch vielen anderen Mittelständlern – aufgrund diverser Abgaben und Vorgaben kaum mehr möglich ist, wirtschaftlich zu arbeiten. Diese Konstellation macht es – zusätzlich zum schwierigen wirtschaftlichen Umfeld der Corona-Pandemie – auch den Betrieben schwer, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich die Arbeitnehmer in voller Bandbreite gewürdigt fühlen.
Wie können sich Arbeitgeber für neue Mitarbeiter attraktiver machen?
Es ist wichtig, sich ein eigenes Geschäftsmodell zu überdenken – auch zum Thema Personal. Das heißt, wenn ich, beispielsweise in einer Gastwirtschaft, an sieben Tagen in der Woche einen gewissen Umsatz generiere, kann es sich lohnen, über eine Reduzierung der Öffnungszeiten auf fünf Werktage nachzudenken. Ausschlaggebend hierfür ist, welche der Gäste, die ich durch die Schließung an zwei Werktagen verliere, auch an anderen Tagen vorbeikommen würden. Wenn ein Großteil der Gäste auch auf einen anderen Tag ausweichen kann und will, weil die Dienstleistung per se überzeugt, können Verluste minimiert und gleichzeitig fix geglaubte Kosten deutlich reduziert werden. Grundsätzlich anders verhält sich das natürlich an Hochfrequenz-Lagen wie an einem Bahnhof. Wer hier am Montag vorbeiläuft, kommt am Dienstag nicht zweimal. Hier muss je nach Lokalität unterschieden werden und man muss die richtigen Konsequenzen aus den individuellen Gegebenheiten ziehen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, bei dem eine durchdachte Reduzierung der Betriebszeiten zu einer spürbaren Gewinnsteigerung geführt hat?
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gerne an einen meiner Beratungskunden. Die Situation war diese: Er hatte ein Restaurant, dass er auf ausdrücklichen Wunsch seines Vermieters mittags und abends geöffnet hatte. Da sich Büros in den Gebäuden befanden war die Argumentation des Vermieters, die Mitarbeiter könnten dort mittags essen gehen. Allerdings wurde das Angebot seitens der Mitarbeiter kaum angenommen und die Auslastung im Mittagsgeschäft tendierte gegen null. Hier haben wir im persönlichen Gespräch eine Kompromisslösung ausgehandelt: Das Restaurant – ein Steakhouse – öffnete künftig nur noch an einem festen Tag pro Woche am Mittag. Neben der Reduzierung der Betriebskosten führte das auch zu dem positiven Nebeneffekt, dass an diesem einen Tag auch spürbar mehr Mitarbeiter aus dem nahen Umfeld präsent waren, als es über die Woche verteilt der Fall war. Unter dem Strich stand einem Umsatzrückgang von 7 bis 8 Prozent eine Verdoppelung des Gewinns gegenüber. Natürlich fielen durch eine solche gezielte Optimierung über 30 Prozent der Mitarbeiterstunden weg und zudem auch der organisatorische Mehraufwand wie das Schreiben von Dienstplänen, die Personaldisposition und vieles mehr.
Wie kann ein gastwirtschaftlicher Betrieb – nicht nur in diesen schwierigen Zeiten – weiter wirtschaftlich optimiert werden?
Ein wesentlicher Punkt der betriebswirtschaftlichen Optimierungen liegt in der Vereinfachung des eigenen Geschäftsmodells. Nehmen wir zum Beispiel die vielzitierte „gut bürgerliche Küche“: Auf vielen Speisekarten kommt jedes Jahr ein neues Gericht hinzu. Und gleichzeitig sagt man: „Von der Karte streichen können wir aber nichts, es gibt ja noch drei Stammgäste, die das so mögen.“ Pardon – aber für ein neues Gericht muss ein altes weichen – die Zahlen sind doch das Entscheidende. Zudem sollte man ein klares Profil haben, und einfach abspecken. Und wenn ich über lange Jahre erfolgreiche Betriebe in der Traditionsgastronomie betrachte, haben die auch nicht so viel Gerichte auf der Karte. Die Gäste wissen aber: „Das, was es gibt, das ist richtig gut.“ Ein Amerikaner würde wahrscheinlich „Signature dish“ dazu sagen, zu Deutsch also ein „Signatur Gericht“ (schmunzelt). Ein weiterer wichtiger Punkt in Sachen der Vereinfachung ist, dass Gerichte, die zu aufwendig sind, eventuell von der Karte genommen werden sollten. Die investierten Arbeitsschritte bei einem Gericht müssen aus betriebswirtschaftlicher Sicht in einem gewissen Verhältnis zum späteren Ertrag stehen.
Wie sieht in Ihren Augen eine zeitgemäße und erfolgreiche Mitarbeiter-Führung aus?
Ein guter Vorgesetzter hat zahlreiche Aufgaben. Dazu gehört es in erster Linie, dafür zu sorgen, dass das gesamte Team gut zusammengestellt ist, Prozesse organisiert sind und funktionieren. Gerade junge Mitarbeiter legen einen großen Wert auf die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Dazu gehört auch eine gewisse Identifikation mit ihrem Arbeitgeber. Dazu gehört beispielsweise auch die Umsetzung echter Nachhaltigkeit im Betrieb oder das soziale Engagement. Für Chefs bedeutet das: Sie müssen sich erst um die Mitarbeiter kümmern, dann geben diese die Gastfreundschaft an die Gäste weiter. Sie müssen schon bei der Ideenfindung beteiligt und bei der Umsetzung mitgenommen werden. Dazu gehört es auch, kleine Erfolge auf dem Weg zu einem großen gemeinsamen Ziel zu feiern.
Wo liegen die Chancen bei einer Karriere im Gastgewerbe?
Durch die Berufsbildungsreform sowie die neuen Ausbildungsverordnungen werden künftig noch mehr Berufe im Gastgewerbe etabliert. Ich freue ich mich sehr, dass es durch die Neuerungen nun auch ohne viel Theorie einfachere Zugangsmöglichkeiten gibt. Und all die Neu- und Quereinsteiger brauchen natürlich Anleitung und Vorgaben, auch die Angelernten. Bei all dem darf man nicht vergessen: Wir sind für viele Menschen, die in unser Land gekommen sind, auch eine Start-Branche. Wenn ich den Menschen Chancen gebe, sind sie auch dankbar – sie sehnen sich schließlich nach einer Perspektive, die wir ihnen bieten können. Im Umkehrschluss binde ich motivierte Mitarbeiter an mich und mein Gewerbe und sorge so für eine gesicherte Personaldecke.
Was macht das Gastgewerbe attraktiver für die Mitarbeit als andere Branchen?
Menschen, die bei uns arbeiten, sind auch gern mit anderen Menschen zusammen. Während andere über „Diversity“ reden, ist das für das Gastgewerbe ein alter Hut. In unserer Branche war eigentlich seit jeher jeder willkommen, der nett ist, der ins Team passt und der sich ein bisschen bemüht, ein guter Gastgeber zu sein. Gastfreundschaft ist eine wirkliche Tugend – und das hat schon Tradition in allen Religionen dieser Welt.
Was würden Sie sagen, sind die wichtigsten Kernelemente im Umgang mit Mitarbeitern?
Die wirtschaftliche Wertschätzung, also die Preise gegenüber unserer Dienstleistung, ist in Deutschland nicht in dem Maße vorhanden wie in anderen Ländern. In Frankreich oder Italien geben die Menschen deutlich mehr Geld für das Essen aus, da sie auch deutlich öfter essen gehen. Gleichzeitig müssen Preise geboten werden, die auch für den Kunden fair sind. Fair für gute, natürliche Produkte und eine artgerechte Tierhaltung und gleichzeitig fair für unseren Betrieb und unsere Mitarbeiter.
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ZUR PERSON
Pierre Nierhaus ist Trend- und Change-Experte für die Hospitality- und Lifestylebranche. Seine 25-jährige Erfahrung als Unternehmer und internationaler Gastroexperte bündelt er in seinem Tätigkeitsspektrum als Konzeptentwickler, Innovations- und Unternehmenscoach, Trendfachmann, Keynote-Speaker, Fachbuchautor und Gastdozent. Pierre Nierhaus beobachtet und bereist regelmäßig die 30 inspirierendsten Metropolen weltweit, zu denen er für interessierte Unternehmer individuelle Trendexpeditionen anbietet. Als ausgebildeter Change-Coach unterstützt er sie und ihr Unternehmen.
Signierte Originale zu gewinnen
Unter allen Lesern, die bis 30. Juni 2022 eine E-Mail mit dem Stichworten „Echt freundlich“ oder „Traditionsreich“ an f.john@gastgeber.bayern schicken, werden zwei exklusive signierte Exemplare der gleichnamigen Bücher von Pierre Nierhaus verlost. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.